Das Studium der Kunstgeschichte brach sie ab. Wenn Malte nicht da ist, schläft sie bis in den Mittag hinein. Bevor er in die Klinik fährt, schreibt er ihr deshalb auf, was sie erledigen soll, und vergisst er es, lässt sie sich ziellos treiben. Die Rede ist von Loretta, genannt auch Lo und Lore. Die Frau mit dem Puppengesicht lebt mit einem Assistenzarzt in Berlin.
Cornelia Forrer
19:10:2010
Malte liebt Loretta über alles. „Du bist mein Glück, Loretta. Klein, blond und problematisch. Und so vergesslich. Wir werden heiraten ohne unsere Eltern, damit von unserer Liebe nichts verloren geht“, schlägt er ihr vor. In einer kleinen Kapelle am Meer oder in den Alpen, soll die Zeremonie über die Bühne gehen. „Und du sollst so aussehen wie jetzt“, erklärt er der ungekämmten Schönen mit den verschmierten Augen.
Die Geschichte der beiden Liebenden erzählt von unerfüllter Sehnsucht, von mädchenhafter Lieblichkeit, Sexyness und einen Grundton von Depression. Loretta, Mitte zwanzig, empfindsam und überfordert, hat Mühe, erwachsen zu werden und lebt das Leben eines Mädchens weiter. Die Autorin, Julia Zange, hat sich diese Heldin erdacht und in ihrem Erstlingswerk das schwierige Gefühl der Bodenlosigkeit des Mädchens, das zur Frau wird, beschrieben.
Die Blasenwelt aus Mode und Lifestyle, das nächtliche Treiben in Künstlerkreisen, die Schwangerschaft und die damit verbundene Hilflosigkeit beschreibt die Autorin genauso treffend, wie die psychischen Einbrüche, die Überforderung und die Flucht mit der kleinen Tochter auf einen abgelegenen Hof, der vom Arbeitsamt finanziert wird. In der „Anstalt der besseren Mädchen“ herrschen eigene Regeln, die Loretta Mühe bereiten.
Julia Zange wurde 1983 in Darmstadt geboren und lebt und studiert in Berlin. 2005 gewann sie den Hildesheimer PROSANOVA-Wettbewerb, 2006 belegte sie zusammen mit zwei weiteren Kandidatinnen den ersten Platz beim „open mike“ Berlin. Julia Zange schreibt Sätze, wie es keine andere beherrscht. Schillernd und glitzernd, parodistisch, sehnsuchtsvoll, selbst bemitleidend, unleidlich und wieder zauberhaft poetisch, liest sich das Erstlingswerk.
Manchmal stolpert man über Absätze, die sich nicht ohne weiteres einordnen lassen. Fesselnd ist darum nicht nur der Inhalt, sondern auch der „blauäugige Soul“, wie Schriftsteller Thomas Meinecke den Romanstil beschreibt. Julia Zange formuliert treffsicher und kennt keine Tabus beim Beschreiben der sexuellen Praktiken und der gossenhaften Sprache. Das Werk wirkt kreativ poetisch, selbst wenn Text und Gedankensprünge oft aus der Reihe tanzen.
„Wer den Eindruck hat, es gäbe auf dem Buchmarkt nur noch Autoren, die einen gefälligen Neorealismus pflegen, dem sei dieses Buch empfohlen“, schreibt Kritikerin Jenny Hoch im "Spiegel". „Magischen Grossstadtrealismus“ nennt es Vladimir Balzer in „Die Welt“. Man werde mit Sicherheit wieder von ihr hören, sind sich Kritiker einig. Mit Sicherheit ist Zanges Buch ein Werk, das zum Denken anregt und die Lesenden zu fesseln vermag.
Das Video der Autorin zum Buch