Advent

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Julia Onken, Psychologin und Autorin.
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Adventzeit steht auch für einen Neubeginn des eigenen Denkens und Handelns.

"Ich hoffe also weiter. Auf was? Ich weiss es nicht. Aber gerade im Advent blüht die Ahnung in mir auf, dass irgendwann ein Wunder geschehe."

Julia Onken 

Ich gebe es gerne zu, die Adventszeit gefällt mir: Die beleuchteten Strassen und glitzernden Auslagen in den Schaufenstern, überall funkeln festlich mit Kerzen geschmückte Christbäume, in den Einkaufshäusern Weihnachtsmusik im Hintergrund, von Verkaufsständen, die in Fussgängerpassagen locken, steigt der Duft von Glühwein, von Zimt oder anderem weihnächtlichem Gewürz in die Nase.

 

Julia Onken

29:11:2008

 

Die Vielfalt der Sinneneindrücke ist verführerisch schön, lockt in beinahe märchenhafte Landschaften und Verhältnisse, wo es jäh Juwelen vom Himmel regnet, wo ein armes Mädchen ohne Schuhe plötzlich in ein wunderschönes Sternenkleid eingehüllt wird, kurz, wo alles möglich ist.

Es ist die Welt der Feen und Engel, eine Zeit, in der das Gute in den Vordergrund tritt und das Böse besiegt. Zwar warnen kritische Stimmen, sich nicht von gerissenen Wirtschaftsvertretern verschaukeln zu lassen, die das Weihnachtsgeschäft schamlos ausmelken. Die Menschen würden für blöd verkauft, viele gingen diesem elenden Kitsch auf den Leim, niemandem ginge es da eigentlich um den tieferen Sinn des Weihnachtsfestes. Doch Derartiges scheint kaum Gehör zu finden.

 

Auch bei mir nicht, obwohl ich guten Grund dazu hätte, mich mit kritischer Distanz mit der Vorweihnachtszeit auseinander zu setzen. Bereits als Kind hatte ich nicht die besten Erfahrungen gemacht.
Während der Adventszeit besuchte ich regelmässig auf dem Schulweg die Kirche, kniete und betete mit glühendem Herzen, im elterlichen Kriegsgebiet möge am Heilig Abend der Waffenstillstand ausgerufen werden; als junges Mädchen wünschte ich mir endlich dem ersehnten Prinzen zu begegnen und als verheiratete Frau hoffte ich, dass sich die Beziehungsrisse wieder kitten liessen.

Obwohl ich mit meinem Hoffen und Wünschen immer auf der Strecke geblieben bin und nichts von dem Ersehnten eintraf, liess ich mich vom Misserfolg nicht irritieren und hoffte unbeeindruckt weiter. Dann eben etwas blöd, aber wenigstens verzaubert blöd, dachte ich.

 

Aber ich kenne auch den Fluchtimpuls, wo mich jegliches besinnliche Getue derart nervte, dass ich am liebsten die Koffer gepackt und geflohen wäre, irgendwohin auf eine Insel, unter Palmen, wo nichts an Weihrauch und Myrrhe erinnerte. Damals, als ich in meiner Ehe dort angekommen war, wo ich mir nicht mehr vorstellen konnte, mehrere Tage am Stück mit meinem Ehemann zu verbringen. Wir sprachen offen darüber.

 

Und weil uns beiden die statistischen Werte über Ehescheidungen bekannt waren, nämlich dass jede dritte Ehe geschieden wird – inzwischen ist die Quote nochmals gestiegen – rechneten wir, dass sich auch andere Paare in einer ehelichen Eiszeit befinden.

Das ist dieser Zustand, der so schwer zu beschreiben ist: Die Gefühlswelt ist winterlich erstarrt, man funktioniert zwar, aber im reduzierten Winterdienst, weit entfernt von inspirierenden, vitalisierenden Lebensimpulsen. Man vermeidet tiefe Atemzüge, oft ist der Rückzug in eine leicht ironisch-zynische Haltung die letzte Rettung, um nicht in sich selbst einzubrechen.

Jede besinnliche Konfrontation wird in diesem Zustand als Frontalangriff auf die gut errichtete Abwehr gewertet. Da lag es auf der Hand, einen Ausweg zu suchen.

 

Wir mieteten in den Bergen ein grosses ausrangiertes Hotel, eine Stunde Fussmarsch vom Lift, und verkündeten unsere Adventsbotschaft: Wem Weihnachten auf die Nerven geht, folge uns nach. Innert weniger Tage hatten wir eine stattliche Gruppe von Fluchtwilligen mit ihren Kindern zusammen.

Der Aufmarsch, bereits einige Tage vor Weihnachten glich einer abenteuerlichen Expedition, eine etwa 45 Personen lange Kolonne, die sich da mühsam den Weg durch den tiefen Schnee pflügte, die mit Vorräten bepackten Schlitten wurden rollenkonform von den Männern gezogen, wir Frauen kümmerten uns um die Kinder, die mitten drin drohten schlapp zu machen.Das Schlusslicht bildete ein Christbaum, der von zwei kräftigen Männern den vereisten steilen Hand hinauf geschleift wurde. 

 

Es war schon dunkel, als wir das Haus erreichten, alle müde, hungrig und von Kälte durchdrungen. Das Hotel, das schon mehrere Jahre leer gestanden hatte, war ungeheizt und so hatten wir zuerst viel zu tun. Nach zwei Tagen war ein einigermassen zivilisiertes Leben eingekehrt und damit auch sämtliche Beziehungskonflikte, vor denen wir geflohen waren.

 

Am Heilig Abend, den wir so ganz unkompliziert und weg von diesem romantischen Zeug verbringen wollten, explodierte die erste Bombe. Eine Frau, deren Mann eine Geliebte hatte, verschwand plötzlich. Wir bildeten Suchtrupps und fanden sie Gott sei Dank im Schnee sitzend, wo sie bis zum ihrem Ableben bleiben wollte, jedenfalls solange, bis sich der Mann von der Geliebten getrennt hätte.

Die Konflikte der übrigen Paare kochten ebenfalls auf, irgendwo war immer bei einem Paar die Hölle los. Nach einer Woche, als wir wieder unten im Tal des Alltags angekommen waren, reichten die meisten Paare die Scheidung ein.

 

Seit diesem Erlebnis weiss ich, Flucht ist zwar eine durchaus interessante Illusion, sich nicht untätig einer Situation auszuliefern, die uns hilflos macht. Aber selbst wenn wir das Handtuch mit Schwung werfen, gelingt es meist nicht, sich von sich selbst und allem, was da so in der Seele herum kreucht und fleucht, abzusetzen. Wir nehmen uns überall hin mit. Nach Mallorca. Auf die Malediven. In die Karibik.

 

Was aber ist es denn, dass uns die Adventszeit von hinten am Schopf packt, ob wir damit einverstanden sind oder nicht. Ist es die Erinnerung an eine noch heile Welt, die wir der Kindheit zuschreiben? Ist es einfach eine religiöse Tradition, mit der viele zwar nichts mehr am Hut haben wollen, die uns dennoch Besinnlichkeit abringt? Oder ist es noch etwas anderes?

Das deutsche Wort „Abenteuer“ kommt von advenire, Advent, Ankunft. Die Kirche spricht von der Ankunft Christi vor 2000 Jahren, quasi als Gegenprogramm zur Verherrlichung eines waffengewaltigen Kaisers. Pabst Leo d. Gr. (+ 461) sagte in einer Weihnachtspredigt „Da wir in Ehrfurcht das Erscheinen unseres Erlösers begehen, zeigt es sich, dass wir unseren eigenen Anfang feiern.“

 

Es ist keine kirchliche Orientierung als Voraussetzung nötig, um die Kraft, die in den Bildern der Adventszeit schlummern, zu erfahren. Advent ist die Verheissung auf einen Neuanfang in uns, auf eine neue Chance sich nochmals zu erproben, dass ein neues Leben möglich ist.

Die Sehnsucht nach einem neuen Anfang erhält Aufwind, wird lebendig und öffnet uns für ein anderes Denken, uns nicht von der Vergangenheit her zu definieren, sondern von der Zukunft. Und damit steht die Welt offen, es ist wie die Erlaubnis, auch unter schwierigsten Lebensumständen, der vielleicht etwas verblassten Hoffnung, alles wende sich zum Guten, trotzdem treu zu bleiben.

 

Die Adventszeit versetzt uns in eine Wartezeit, Warten erzeugt eine besondere Spannung, eine besondere Wachheit, als ob wir auf der „Warte“ Ausschau hielten. Warten auf was? Dass vielleicht doch noch ein Wunder geschähe? Warten ist mit Hoffen verschwägert, aber wenn wir die Hoffnung auf einen Neubeginn aufgegeben haben, wenn wir resigniert sind, dann ist uns die Adventszeit ein Dorn im Auge.

Ich hoffe also weiter. Auf was? Ich weiss es nicht. Aber gerade im Advent blüht die Ahnung in mir auf, dass irgendwann ein Wunder geschehe.


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