Apropos Alice...

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Alice Schwarzer macht klar, dass Frauen auf den Schultern von Riesinnen stehen.
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Julia Onken macht sich Sorgen über 30-jährige Mädchen.

"Apropos Alice Schwarzer: Nicht Abgrenzung ist gefragt, sondern Würdigung für eine engagierte Frau mit einem äusserst grossen Verdienst, die massgeblich daran beteiligt ist, dass aus Mädchen selbstbewusste Frauen werden. "
Julia Onken, Autorin und Psychologin.

Soviel vorweg: Alice ist die bekannteste Frau in Deutschland. Für die einen ist sie ein wahres Geschenk, die wichtigste Vertreterin für Frauenrechte. Für andere aber ist sie ein ständiges Ärgernis. Seit 30 Jahren gibt es eine richtige solide Anti-Schwarzer-Connection, die unverzüglich aus sämtlichen Kanonen feuert, wenn sich irgendwo auch noch so eine geringe Gelegenheit bietet.

 

Julia Onken

11:08:2008

 

Noch vor kurzer Zeit wurde Alice öffentlich geehrt, mit Preisen ausgezeichnet und mit Lob überhäuft. Ihre Meinung war gefragt wie nie zuvor, selbst in traditionellen Medien kam sie zu Wort: Rückblicke auf die 68er, Analyse zur Frauenbewegung, Jahrestag Simone de Beauvoir. Darüber hinaus kommentierte sie die gesellschaftspolitische Entwicklung mit klarem Blick, wie immer unverschnörkelt und mutig. Mit scharfem Verstand analysierte sie Themen wie die Sexualpolitik, auf die Gefahren des fundamentalen Islamismus wies sie bereits vor Jahren hin. Alice war längst in traditionellen Medien zur unüberhörbaren, weit blickenden Instanz geworden und endlich da angekommen, wo sie hingehört: In die oberste Liga der Denkenden und Intelligenten.

Das erfreute die einen, mich zum Beispiel erfüllte es mit grösster Freude und, ja, auch ein bisschen Stolz, obwohl Stolz kann man doch nur auf etwas sein, was mit Eigenleistung erworben wurde. Dennoch. Das Gefühl, dass es eine Frau schafft, ernst genommen zu werden, verschaffte mir eine unumstössliche Bestätigung über weibliche Kraft und Kompetenz.

Der Anti-Schwarzer-Fraktion muss der Siegeszug ein Dorn im Auge gewesen sein, eine Qual zusehen zu müssen, wie ihre Kontrahentin zu Worte und zu Ehren kam. Anders ist die heftige und weit über das Ziel hinausreichende Reaktion nicht zu verstehen. Obwohl die Faktenlage eindeutig ist und für sich selbst spricht, wird der Nichtigkeit eines personellen Wechsels in der Emma-Redaktion - ein Vorgang der anderswo täglich geschieht und keinerlei Aufsehen erhebt - Anlass einer erneuten Hasskampagne gegen Alice, die vor allem versucht, sie in ihrem Führungsqualitäten zu diskreditieren und sie als Person zu demontieren oder besser gesagt, als Unperson vorzuführen. Wer derart eine Person angreift, muss wohl Grund dafür haben, deshalb sagt es sehr viel mehr über den Angreifer oder die Angreiferin aus, als über die Angegriffene. Kränkungen, verletzter Stolz kostümieren sich gerne in der Tarnung von Spott, Häme und Zynismus und genau diese Töne waren zu hören.

Wer Alice in ihrem Tun und Wirken beobachtet kommt nicht umhin, feststellen zu müssen, dass wir es hier mit einer Frau zu tun haben, die in der Lage ist, ihr gesamtes Register an Möglichkeiten zum Einsatz zu bringen. "Sie inszeniert sich als Marke!" lautet der Vorwurf einer Gequälten, "sie spielt sich stets in den Vordergrund" "sie ist einfach zu dominant" und ähnliche Anwürfe sind zu hören. Dies sind typische Äusserungen von Personen, die ihr eigenes Potential nicht in dem Masse zum Ausdruck bringen können, wie sie es gerne möchten, kurz gesagt: Es handelt sich um Neid.
Neid aber könnte ein grossartiges Zeichen sein, an die eigenen nicht verwirklichten Möglichkeiten erinnern. Und statt die Neid-Erregerin mit Gegenangriffen zu bedienen, könnte eigenes stillgelegtes Kapital nutzbar gemacht werden. Alice lebt vor, was in Frauen - auch in Journalistinnen! - eigentlich steckt. Sie benützt ihre Hirnzellen, denkt selbstständig, mischt sich ein, nennt die Dinge beim Namen und scheut sich nicht vor Auseinandersetzung. Darüber hinaus verwirklicht sie ihr Projekt "Emma" und lässt sich von niemandem reinreden.
Dass dies alles nicht mit einem Schafspsychogramm zu machen ist, angepasst und stets freundlich lächelnd, versteht sich von selbst. Dass diese Botschaft nicht einfach zu verkraften ist, leuchtet wohl ein. Schliesslich ermahnt es jede, Schluss mit dem eigenen Dornröschenschlaf zu machen. Also, liebe Schwestern, statt über Alice herzufallen, die eigenen Nischen erforschen und endlich das machen, was Not tut: mitmischen wie Alice, den Mund aufmachen, wie Alice, eigene Projekte mutig umsetzen, wie Alice. So einfach ist das.

Etwa zeitgleich mit der Angriffswelle gegen Alice wurde von einer anders gearteten Fraktion nachgetreten, "den neuen deutschen Mädchen", die Autorinnen 30 plus. Das Buch, so eine der beiden Autorinnen Jana Hensel, sei aus Frustration zu Schwarzers Auftritt zum 30. Geburtstag von Emma, entstanden. "Der Begriff ,Feminismus' ist natürlich strapaziert worden. Man verbindet damit ja nicht gerade Fortschritt, sondern eher das Gegenteil: Er erscheint uns doch wie aus einer anderen Zeit", so Elisabeth Raether in einem Interview.
Und in einer TV-Talk-Sendung mit Bettina Böttinger lässt Jana Hensel verlauten: "Wir distanzieren uns ganz klar von Alice Schwarzer, mit ihren Thesen haben wir nichts zu tun."

Ja, da scheint nun einiges schief gelaufen zu sein. Die beiden Frauen über 30 nennen sich selbst Mädchen, was Anlass zu Besorgnis geben sollte. Wie kommen erwachsene Frauen dazu, sich zurück an den vergangenen Mädchenjahren orientieren zu wollen und ihre Identität daraus zu beziehen? Die Frauenbewegung hat sich sehr dafür eingesetzt, dass die Benennung "Fräulein" verschwindet, die einer Entwertung gleichkommt, und dafür, dass auch junge Frauen das Recht haben, als Frau angesprochen und dadurch ernst genommen zu werden.
Zeichnet sich da vielleicht auch der Wunsch sich selbst zu infantilisieren ab, wie dies ja auch mit dem Rasieren der Schamhaare zum Ausdruck kommt? Zurück also zum kindlichen Paradies, da ist der Wunsch nach dem beschützenden und rundum versorgenden Prinzen nicht mehr fern.

Mit den "neuen deutschen Mädchen" zeichnet sich aber noch eine andere Besorgnis erregende Linie ab. Denn weiter geht es mit: "Schwarzers Feminismus sei tot, klar, alles sei doch Schnee von gestern, längst überholt, Frauenanliegen (Mädchenanliegen) müssten neu benannt werden und zwar von der jüngeren Generation".
Nun geraten junge Frauen in die alte Falle, hier scheint kritisches Nachdenken auf der Strecke geblieben zu sein, die patriarchale Hirnwäsche hat ganze Arbeit geleistet. Aus historischer Sicht wurden Frauen immer entwertet, ihre immensen Leistungen konsequent übersehen und ihre Verdienste totgeschwiegen. Das hat unser Selbstbild weitgehend bis in die heutigen Tage geprägt, wir tragen in uns noch immer ein Erbe, das Weiblichkeit gering schätzt, das auf keinerlei Kapital zurückblicken lässt. Frauen, die uns hätten Vorbild sein können, werden erst allmählich ins Licht gerückt.
Weibliche Philosophinnen, die uns in die Welt des Denkens einführen, müssen mühsam unter dem Schutt männlicher Denksysteme freigeschaufelt werden. Wir stehen da, ohne Erbe, eine Usanz, die sich faktisch in vielen Familien abspielt, wenn das Erbe an den Sohn weitergereicht wird.
Es gibt keine symbolische Instanz für die Mutter-Tochter-Kraft-Allianz, es gibt lediglich die Mutter-Sohn Illustration. Wir tragen in uns keine geistige Ahninnenreihe, die uns mit unseren Wurzeln rück bindet, auf die wir uns zurück besinnen können, die uns Rückhalt geben. Während Männer ihr Selbstbewusstsein auf den Errungenschaften und Leistungen ihrer Vorfahren beziehen - sie blicken schliesslich auf Helden, Staatengründer, Eroberer, Erfinder und ganze Heerscharen bedeutender Wissenschaftler zurück, streift unser Blick über die von ihrem Dienstherrn geschwängerten Mägde, auf dem Scheiterhaufen verbrannten Hexen, erniedrigten Huren und von Männern abhängigen Frauen.

Und ganz in dieser Tradition eingebunden, zerstören nun junge Frauen das Gedankengut, was vor ihnen andere Frau aufgebaut haben. Unklüger könnte nicht gehandelt werden. Jedes Mal wieder bei Null anfangen, jedes Mal sich von Vorleistungen abgrenzen heisst, jedes Mal das Rad neu erfinden wollen.

Die meisten Frauen sind Töchter von entwerteten Müttern, deren Leistungen weder gewürdigt noch anerkannt wurden. Viele haben sich aus Selbstschutz vom Modell der Mutter abgewandt: "So wie sie, niemals! Diese Rolle kommt für mich nicht in Frage" so lautete das Credo. Und diesem Muster bleiben viele treu und führen die Abgrenzung und die Entwertung gegen andere Frauen konsequent weiter.
Dabei sind Beziehungen zwischen Frauen die Grundlage für weibliche Freiheit und darüber hinaus die Voraussetzung, sich mit den eigenen Wurzeln rückzubinden. Weibliche Freiheit bedeutet auch, sich von anderen Frauen aktiv zu unterscheiden und die Differenz zu erleben, zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich von anderen lernen möchte.

Sich von den durch Alice Schwarzer erworbenen Errungenschaften abgrenzen zu wollen heisst, auf ein hoch dotiertes Erbe freiwillig zu verzichten. Und so dumm können doch auch Frauen, die sich selbst als Mädchen bezeichnen, nicht sein.

Wer noch immer nicht begriffen hat, dass uns gerade eine Person wie Alice Schwarzer endlich die Möglichkeit bietet, uns auf ihre Errungenschaften zu beziehen, sie uns mit ihren herausragenden Eigenschaften vorbildhaft als Modell dient, eigene Potentiale zu vitalisieren, verspielt leichtfertig ein Kapital, das wohl als einmalig in unserer Geschichte gelten darf.


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