Kein Zusammenleben ohne Politik!

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Die prominente Persönlichkeit hat es selbst in der Hand, wieviel Privates sie öffentlich machen will.
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Ob Homestory oder nicht, entscheidet sie selbst.


Politik ist wichtig. Holen Sie sich Ihr Grundwissen kostenlos mit dem Benutzernamen ostschweizerinnen.ch und dem Login och2003 ab der Lehrmittelplattform kiknet.ch! Die Lehrmittel für Mittel- und Oberstufe wurden von Cornelia Forrer verfasst und sind politisch neutral. Es geht inhaltlich darum, sich bewusst zu werden, dass Politik rund um uns herum stattfindet. Wenn wir uns nicht daran beteiligen, können wir unsere und die Zukunft unserer Kinder nicht mitgestalten und beeinflussen.

Politik muss uns interessieren. Wenn wir mitbestimmen und unser Umfeld mitgestalten wollen ist es unerlässlich uns zu informieren, wie Politik funktioniert und wie sie genutzt werden kann. Politische Abstinenz und Augen-zu-Halten kommen deshalb für engagierte und interessierte Bürgerinnen nicht infrage. Doch wie halten es die Medien?

 

Cornelia Forrer

24:04:2010

 

Was bedeutet der Begriff Politik und was kann ich daraus schliessen? Er stammt aus dem Griechischen und bedeutet Staat und Gemeinwesen. „Politik bezeichnet jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie die Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es in privaten oder öffentlichen Bereichen“, so definiert Wikipedia. Es ist nicht klar, ob Macht, Konflikt, Herrschaft, Ordnung oder Frieden die Hauptkategorie der Politik bildeten.


Klar aber ist, dass rund 47 Prozent des üblichen Informationsinhaltes aus den Medien sich um Politik drehen. Eine gewaltige und unerwartete Zahl. Und was schliessen wir daraus? Kein Zusammenleben also ohne Politik! Politische Kommunikation sei ohne politischen Journalismus überhaupt nicht möglich und die Medien seien unverzichtbare Träger der Demokratie. So  schreibt Roger Blum, Professor für Medienwissenschaft an der Uni Bern und Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz  für Radio und Fernsehen (UBI), der Ende Januar in Pension ging.


Wichtige politische Entwicklungen
Vier zeitgeschichtliche Schübe kristallisieren sich als besonders wichtig für den politischen Journalismus heraus. Als erster wichtiger Meilenstein bezeichnet Blum die bürgerliche Revolution in der Zeit der Helvetik (1798 – 1803) und der Regeneration (1830 – 1848). Es ist die Zeit, als politische Zeitungen wie Pilze aus dem Boden schossen und der direkten Demokratie den Boden bereiteten. Diese Art Journalismus hielt sich übrigens beharrlich bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus.


Das Aufkommen der „blauen Presse“ in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts mit Wochenzeitungen wie die „Nation“, die „Weltwoche“ und später der „Zürcher Woche“ erschloss den anwaltschaftlichen Journalismus, dank  der Sozialreportagen. Schliesslich ging in den Sechzigern des 20. Jahrhunderts ein weiterer Schub von der neu in der Schweiz aktiven Nachrichtenagentur United Press International (UPI) aus, die sich nicht mehr auf Medienmitteilungen verliess, sondern gleich selbst aktiv recherchierte und Befragte in den Meldungen wörtlich zitierte.


Dieser Stil sollte später auf überparteiliche Zeitungen wie „Tages-Anzeiger“, „Luzerner Neuste Nachrichten“, „National-Zeitung“, „24 heures“, „Tribune de Genève“, „La Suisse“ und auf Boulevardzeitungen wie „Blick“, „Neue Presse“ und „Tat“ überschwappen. Bald nahmen Radio und TV im Laufe der Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre die Bedeutung der politischen Informationen wahr und nahmen neue Gefässe mit Hintergrund und Diskussion ins Programm auf: „“Rendez –vous“, „Echo der Zeit“, „Rundschau“, „Arena“, „Droit de cité“ oder „Temps présent“. Gefässe übrigens, die auch politscheue Lesende und Zuschauende zu interessieren vermochten.


Sonntagszeitungen, Gratiszeitungen und private Sender wurden in den Neunzigerjahren auf die Beine gestellt, verstärkten den Wettbewerb und spektakulierten und dramatisierten fortan die Politberichterstattungen.

Damit nahmen  aber auch die (oft leider aufgebauschten) Enthüllungen, politischen Statements und Interviews zu – Rücktritte werden immer rascher gefordert, schwarze Flecken von Polit- und Wirtschaftsleadern „aufgedeckt“ und oft bis ins Detail ausgeschlachtet.


Volksrechte und dezentrale Systeme
Die Schweiz als mehrsprachiges Land und föderalistische Republik führe automatisch zu einer grossen Zahl öffentlich zu verhandelnder politischer Behörden und Organisationen, die durch den politischen Journalismus beobachtet werden müssten, ist Medienkenner Blum überzeugt. Schon wegen der direkten Demokratie mit ausgedehnten Volksrechten wird die Bürgerschaft vier Mal jährlich zur Urne gebeten.

Die Medien sind dabei gefordert, oft hochkomplexe Abstimmungsthemen zu erläutern, verständlich zu machen und den Meinungsbildungsprozess anzukurbeln.


Zu den eidgenössischen Abstimmungsvorlagen gesellen sich kantonale und kommunale Abstimmungen in grosser Zahl. „Jedes Jahr finden im Schnitt elf Wahlen in Kantonen und in wichtigen Städten statt, zusätzlich zu den alle vier Jahre anfallenden eidgenössischen Parlamentswahlen, denen ein immer längerer Wahlkampf vorausgeht“, sagt Blum.


Das Konkordanzmodell der Schweiz beteiligt die wichtigen Parteien an den Regierungen. Seit 1848 ist zudem eine Kollegialregierung eingerichtet, in der kein Premierminister oder Kanzler die Richtung bestimmt.

Dies zwingt zu Verhandlungen und Kompromissen und zieht Vernehmlassungen, Absprachen, Mitberichte und Kollegiumsentscheide mit sich. Der politische Journalismus hat auch darauf Rücksicht zu nehmen. 


Während Bern aber das politische Zentrum ist, ist Zürich mit den grössten Verlagshäusern und Radio- und TV-Stationen die Medienstadt der Schweiz. Ökonomische Zentren sind Zürich, Basel, Genf und Lugano. Das bedeutet wieder, dass der politische Journalismus auch diesen Umständen Rechnung zu tragen hat. Menschen im Ausland können dies nicht leicht nachvollziehen und wundern sich.


Journalistische Ethik vorausgesetzt
Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit sind durch die Bundesverfassung gewährleistet und vergrössern damit den Spielraum des politischen Journalismus. Selbst derbe politische Auseinandersetzungen lässt das Bundesgericht gelten, weil die Meinungsfreiheit als heilig und schützenswert gilt.


Das Gesetz macht nur Radio und TV Auflagen, doch es gibt immer wieder Versuche, die Recherchierfreiheit zu beschränken oder Indiskretionen aus dem Bundeshaus zu stoppen. Der Schweizer Presserat hat indessen mehrmals betont, dass auch die Veröffentlichung vertraulicher Informationen in gewissen Fällen legitim sein kann.


In keinem westlichen Land (ausser Italien) hat die Vernetzung zwischen Parteien und Medien länger angedauert als in der Schweiz. Heute sind die Tageszeitungen finanziell und strukturell parteiunabhängig. Dies schliesst aber dennoch nicht aus, dass sie einer Partei näher stehen  als der anderen (z.B. NZZ) oder eine politische Richtung favorisieren (z.B. Tages-Anzeiger, Weltwoche oder WoZ).


Dies kann aber bloss anhand der Ausrichtung der Parteimitgliedschaften in der Redaktion oder der Stossrichtung der Kommentare angenommen und nicht bewiesen werden. Belege oder Studienergebnisse gibt es hierfür keine.


Die ethischen Standards sind den schweizerischen Journalisten weniger bewusst als etwa amerikanischen Medienschaffenden, die strenge interne Regeln kennen. Dennoch finden sie grossenteils Berücksichtigung in der Berichterstattung. Scheckbuchjournalismus kommt in der Schweiz sicher selten bis gar nicht vor. Auch die Privat- und Intimsphäre der politischen AkteurInnen wird in der Regel beachtet.


Verstösse werden vom Presserat be- und allenfals verurteilt. So wurde ein Medium für die Berichterstattung gerügt, dass ein Bundesrat zu den Kunden einer Prostituierten gehöre, was diese im eigenen Buch selbst „enthüllt“ hatte. Nicht besser erging es dem Medium, das über den Mann einer Parlamentsabgeordneten intime Details abdruckte. Als unlautere Methode der Informationsbeschaffung wurden auch Gerüchte um einen Schweizer Botschafter in Deutschland vom Presserat taxiert.


Oft sind es jedoch die Politikerinnen und Politiker selber, die Hand für Grenzüberschreitungen bieten, indem sie Homestories und Halb-Homestories zulassen oder gar anregen und auf intime Fragen überhaupt Antwort geben. Es liegt auch in ihrer Hand zu markieren, wie die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum verlaufen.


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