Reisebericht zur Kelimwerkstatt Rûnas, Hakkari, in türkisch Kurdistan

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Handgewebte Teppiche - ein Stück kurdischer Kultur, aber auch noch viel mehr.
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Die Ausstellung in der Katharinengasse bereichert auch das Kulturleben St.Gallens. Hier eine Impression.

Rûnas - < Weben fürs Leben >
Wunderschöne, aus reiner Wolle gewobene Kelims.
Festsaal St.Katharinen, Katharinengasse 11, 9000 St.Gallen.
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 17 bis 20 Uhr, Samstag 10 bis 17 Uhr, Sonntag 14 bis 17 Uhr.
Bis 12. Dezember 2009.

Die Kelims, die noch bis zum 12. Dezember in St.Gallen zu sehen sind, stammen aus einer Kelimweberei von Flüchtlingsfrauen in Colemêrg / Hakkari. Hakkari liegt wie St.Gallen in einem Länderdreieck; die Stadt im Grenzgebiet zum Iran und Irak ist so gross wie St.Gallen und ebenfalls Provinzhauptstadt. Damit hat es sich aber mit den Gemeinsamkeiten auch schon. Die Wirtschaft im Kurdengebiet liegt am Boden.

 

Marianne Meier, Waltraud Weber, Andreas Fagetti

09:12:2009

 

Wäre da nicht der Staat, bewegte sich die Arbeitslosigkeit wahrscheinlich irgendwo bei 80 Prozent. So aber beschäftigen Stadt- und Provinzverwaltung 5000 Menschen. Aber für die Kurden, die hier nahezu 100 Prozent der Bevölkerung stellen, ist das ein kleiner Trost. Denn der türkische Staat wittert überall Separatismus und hält das grösste Volk ohne eigenen Staat klein. In der auf rund 1800 M.ü.M.gelegenen Stadt sind 45 000 Soldaten stationiert, im Sommer sollen es sogar 100 000 sein. Hakkari sei ein offenes Gefängnis, sagt Bürgermeister Fadit Bedirhanoglu.

 

Er wäre an einer Partnerschaft mit einer europäischen Stadt interessiert. Im Zentralstaat bestimmt Ankara, wieviel Geld in die Provinzen fliesst. In Hakkari kommt angesichts der Grösse der Stadt bloss noch ein Rinnsal an. Regelmässig kommt nur das Geld für die Löhne der Stadtangestellten. Hakkari sitzt auf Schulden von über 30 Millionen Franken, Geld, das die Stadt unter diesem Umständen nie zurückzahlen kann. Entsprechend präsentiert sich Hakkari: Die Abfuhr ist überfordert, die Kanalisation ist marod, die meisten Quartierstrassen präsentieren sich als bucklige Staubpisten, die sich in der im Spätherbst einsetzenden Regenzeit in Schlammbahnen verwandeln, nur wenige Quartierstrassen sind gepflastert.

 

Allerdings haben die Einwohner diese kleinen Lichtblicke nicht ihrer örtlichen Verwaltung zu verdanken, sondern sich selbst. Weil der Stadt die Mittel fehlen, greifen die Leute von Hakkari zur Selbsthilfe. Quartier für Quartier legen sie Geld zusammen, kaufen davon Pflastersteine und Schotter. Die Arbeiten übernehmen dann die Strassenarbeiter der Stadt.

So sind mittlerweile einige Quartierstrassen in gutem Zustand. Was hat das alles mit der Kelimweberei Rûnas zu schaffen? Sehr viel. Die Weberei, die vor acht Jahren dank Finanzhilfe aus der Schweiz initiiert werden konnte, ist mittlerweile der grösste private Arbeitgeber der Stadt. Man muss sich das vorstellen: mit fünfundzwanzig Arbeitsplätzen.

Die Weberei hat ausserdem eine wichtige soziale Funktion. Denn die Weberinnen stammen alle aus den Flüchtlingsquartieren, die die Stadt wie alle Städte im Südosten seit dem Bürgerkrieg zwischen Türken und Kurden einkreisen. Das türkische Militär hat im Kampf gegen die PKK tausende Dörfer geräumt, gebrandschatzt oder plattgewalzt, die Bauernfamilien vertrieben und um ihr Auskommen gebracht. Millionen Inlandflüchtlinge strömten in die Städte und fristen dort jetzt meist ein armseliges Dasein.

 

Die Weberei ist angesichts dieser Dimensionen zwar bloss ein Tropfen auf den heissen Stein, aber immerhin sind die Löhne der jungen Frauen oft das einzige Einkommen der Grossfamilien. Vor acht Jahren war der Start bescheiden. Die Weberei befand sich in einem heruntergekommenen Schlachthaus. Die Weberinnen arbeiteten im Halbdunkel, es funktionierte nur dank Improvisationsgeschick und unerschütterlichem Glauben an die Sache. Acht Jahre später ist alles anders.

Auf dem Grundstück des Webereimeisters Kadir, dessen bescheidene Steinhütte Opfer eines Erdbebens geworden war, wurde ein neues Haus errichtet. Auf zwei von drei Stockwerken und in hellen Räumen arbeiten jetzt Geschäftsführer Sîleman, Weberei- und Färbmeister Kadir und die Weberinnen in zweckmässigen hellen und gut isolierten Räumen, die der Kälte der strengen kurdischen Winter trotzen.

 

Büro, Wolllager, Färberei und eine vier Tonnen schwere, nigelnagelneue Teppichpresse beeindrucken alle, die noch die Weberei im Schlachthaus vor Augen haben. Rûnas ist ein Hoffnungsschimmer in Hakkari.

Aber leicht ist es für die Weberei noch immer nicht. Denn der Vertrieb der hochwertigen Kelims ist nicht leicht. Die Wege aus dem Südosten der Türkei zu den Märkten Europas sind weit und mitunter umständlich. Aber sind die farbenprächtigen Kelims erst einmal hier, finden sie Käuferinnen und Käufer. Die gute Infrastruktur der Weberei hat die Qualität der Kelims weiter verbessert. Webereimeister Kadir tüftelt in der Färberei an neuen Naturfarben herum und verbreitert die Farbpalette.

 

Ausserdem ist er ständig auf der Suche nach ursprünglichen Motiven der kurdischen Stämme, Täler und Dörfer, die nirgendwo anders als in den Köpfen der alten Bauersfrauen gespeichert waren und jetzt meist nur noch aufgrund alter Teppiche rekonstruiert werden können. Manches dämmert aus den Kindheitserinnerungen Kadirs herauf. Aber nicht nur die Motivpalette hat sich mittlerweile verbreitert, auch die Wolle und die Webtechnik hat sich verfeinert.

Wer also einen Kelim von Rûnas erwirbt, erwirbt ein Stück kurdischer Kultur, ein wunderbares Erbstück und ausserdem sichert er damit der kleinen Weberei, die der grösste private Arbeitgeber in Hakkari ist, den Fortbestand.


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