Kloster Fahr nahm jüdische Flüchtlingsfrauen auf

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Archiv im Kloster Einsiedeln: Fundgrube für kleine, bisher unbekannte Geschichten. (Kloster Einsiedeln)
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Frater Thomas: " Die Schwestern selber waren eigentlich toleranter als die Umgebung. "

In der Benediktinerinnen-Gemeinschaft Kloster Fahr leben 30 Frauen, die ihr Leben nach dem Evangelium und den Weisungen des heiligen Benedikt gestalten.
Das Kloster Fahr gehört seit seiner Gründung im Jahre 1130 zum Kloster Einsiedeln. Fahr und Einsiedeln bilden ein Doppelkloster. Der Abt von Einsiedeln ist seit jeher auch Abt des Klosters Fahr.

Die Klostergemeinschaft in Fahr wird von einer Priorin geleitet, seit September 2003 von Priorin Irene Gassmann.


Radio SRI/ swissinfo.ch

In dem zu Einsiedeln gehörenden Frauenkloster Fahr in Unterengstringen, Kanton Zürich, lebten während dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge. Eine bislang nicht bekannte Geschichte. Dass die meisten von ihnen Jüdinnen waren, passte nicht allen.

 

Jean-Michel Berthoud, Kloster Einsiedeln

05:05:2010

 

Frater Thomas Fässler schreibt zur Zeit an der Diplomarbeit für sein Theologiestudium. Diese umfasst die Geschichte des Klosters Einsiedeln ab 1934 bis zur Gegenwart. "Ich arbeite im Archiv und entdecke dabei manchmal kleine Geschichten, die ich leider bei meiner Arbeit nicht gross verwenden kann", sagt er gegenüber swissinfo.ch.

"Geschichten, um die es aber schade wäre, wenn sie wieder in die dunkle Kammer verschwinden würden." Darum sei es gut, wenn sie doch irgendwie publiziert werden könnten. "In diesem Rahmen bin ich auf die Geschichte gestossen, wonach das Kloster Fahr während dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge, darunter auch Jüdinnen, aufgenommen hat."


 

Eine bisher unbekannte Geschichte

Für Frater Thomas ist diese Geschichte "absolut Neuland - und nicht nur für mich". Er wandte sich an das Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich. Dort sind Personendossiers der Jüdischen Flüchtlingshilfe angelegt. Das Kloster Fahr erscheint darin nicht auf der Lagerliste. "Auch im Kloster Fahr selber scheint man sich dieses Momentes nicht mehr bewusst gewesen zu sein", fügt er bei.

Es sei nicht sicher, ob die Schwestern im Kloster Fahr überhaupt gewusst hätten, dass die Mehrheit von den aufgenommenen 14 Flüchtlingsfrauen Jüdinnen waren. "Diese waren in einem separaten Bau untergebracht. Die Schwestern ihrerseits waren in strenger Klausur. Dadurch hatten sie nur wenig Kontakt mit den Flüchtlingen."

Aber die damalige Priorin des Klosters, Schwester Elisabeth Galliker, und der damalige Propst, Pater Anselm Knüsel, seien darüber informiert gewesen, erklärt Frater Thomas.


 

5.50 Franken von der FHD

Gemäss den Akten bestätigte am 26. Oktober 1943 ein Oberleutnant Spoendlin der Schweizer Armee dem Fahrer Propst Anselm Knüsel, dass das Kloster Fahr sich bereit erklärt habe, per 1. November 14 weibliche Flüchtlinge aufzunehmen. Betreut würden sie vom Frauenhilfsdienst (FHD) der Schweizer Armee, der dem Kloster einen Beitrag von 5.50 Franken pro Tag für Kost und Logis bezahlen werde. Die Flüchtlinge selber lebten gratis im Kloster Fahr.

Zwei Tage später erhielt der Offizier für Flüchtlingswesen einen Brief des Propstes, in dem dieser "für die Unterbringung der Leutchen" um Wolldecken bat, "da wir leider diese nicht stellen können". Die 14 Wolldecken wurden per Bahnfracht geliefert, zusammen mit der Bitte, den leeren Sack, in dem sie geschickt wurden, zu retournieren.


 

Eintrag "hebr."

Bei den jüdischen Frauen, die ins Kloster Fahr kamen, wurde in den Papieren der Vermerk "hebr." (hebräisch) angebracht. Das sei nicht in einem antisemitischen Rahmen gedacht gewesen, beteuert Frater Thomas.

Der Eintrag "hebr." erscheine auf einer Liste, die dem Kloster Fahr vom Auffanglager, also von militärischer Seite her, zugestellt worden sei. "Auf dieser Liste wurden die Flüchtlingsfrauen, die ins Kloster Fahr gebracht wurden, kurz vorgestellt, mit Namen, Jahrgang, Nationalität und auch Konfession." Es habe auch katholische Frauen mit Abkürzung "kath." darunter gehabt. "Das war einfach nur zur Information für den Propst."

Vorbehalte der Kloster-Fahr-Schwestern gegenüber den jüdischen Flüchtlingsfrauen habe es, "soweit das zu beurteilen ist", nicht gegeben, sagt Frater Thomas. "Interessant ist, dass die Schwestern selber eigentlich toleranter waren als die Umgebung."


 

Eine Insel im antisemitischen Umfeld

Er habe ein Zeugnis gefunden in den Akten, das besage, dass sich die Bevölkerung aus der Umgebung fragte, wie das Kloster überhaupt akzeptieren könne, "dass ihm das Haus voller Jüdinnen gesteckt wird". Und die General-Adjudantur schrieb am 4. Januar 1944 an die Priorin, man habe von dritter Seite erfahren, dass dem Kloster anstelle von "armen Frauen mit vielen Kindern jüdische Frauen mit wenig Kindern, die anscheinend über Geldmittel verfügen", zugeteilt worden seien.

Die Priorin schrieb zurück, anfangs seien ihnen Italienerinnen mit vielen Kindern zugesprochen worden. Dann sei die Frage gestellt worden, ob es "untragbar wäre, wenn auch die eine oder andere Jüdin dabei sei". Jetzt seien halt Jüdinnen gekommen, ohne Kinder. Aber das sei für sie absolut kein Problem – im Sinne von "wer Not leidet, der findet bei uns Zuflucht".

Das Kloster Fahr scheint in diesem leicht antisemitischen Umfeld eine Insel gewesen zu sein.

 

 

Separater Tagesablauf

Die Flüchtlingsfrauen wohnten getrennt von den Schwestern, in einem Anbau der St. Anna-Kapelle. Sie wurden von einer FHD-Angehörigen betreut. Das Kloster Fahr war verantwortlich für Kost und Unterkunft. Das Essen kam also aus der Klosterküche.

"Die einzige noch lebende Zeitzeugin, die 93-jährige Schwester Regula Wolf, war jene Schwester, die am meisten Kontakt zu den Flüchtlingsfrauen hatte. Sie war die Schnittstelle zwischen den Flüchtlingen, der FHD-Frau und dem Kloster", erklärt Frater Thomas.

Die Flüchtlingsfrauen verbrachten den Alltag meistens allein unter sich. Sie mussten irgendwie beschäftigt werden. Dazu erzählt er eine Anekdote: "Das Kloster Fahr hat, wohl auch im Rahmen der Anbauschlacht des Plans von Bundesrat Wahlen, um das Gebäude herum Mais angepflanzt. Schwester Regula hat den Frauen beigebracht, aus diesen Maisblättern Matten als Türvorlagen zu flechten, was diese scheinbar auch gerne gemacht haben."


 

Vom Zeitgeschehen ferngehalten

1944 eröffnete das Kloster Fahr seine Bäuerinnenschule. Die Flüchtlingsfrauen mussten gehen. "Es war von Anfang an geplant, dass der Aufenthalt der Flüchtlinge im Kloster Fahr zeitlich befristet ist. Man hat klar gesagt, man möchte im Frühjahr 1944 eine Bäuerinnenschule einrichten", so Frater Thomas.

Vermutlich seien die Flüchtlingsfrauen wieder in das Auffanglager, woher sie gekommen seien, zurückgekehrt. Genaueres habe er nicht ausfindig machen können, so Frater Thomas. Er habe nur Angaben gefunden, was die Frauen nach dem Krieg gemacht hätten.

Ob die Schwestern über das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg etwas wussten, ist für Frater Thomas schwierig abzuschätzen. "So wie ich das von Schwester Regula mitgekriegt habe, wussten sie eigentlich kaum etwas darüber. Die strenge Klausur hat sie vom Zeitgeschehen ferngehalten."


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