23:05:2014
Es gibt einleuchtende Gründe dafür und dagegen. Darum wird schon so lange darüber debattiert. Meine Vision heisst Integration, und ich habe da so einige Erfahrungen, aber keine pfannenfertige Lösung.
Ingrid Eva Liedtke, Schönenberg TG
Ich sollte und wollte an einem Podiumsgespräch über das
Kopftuchverbot teilnehmen und das Thema anlässlich eines Seminars für
journalistisches Schreiben bearbeiten. Das ist der Grund, warum ich mir daran
überhaupt die Zähne ausbeisse und mein Hirn zermartere, auch weil mir die andere
Aktualität, die Conchita eh wurst ist und ich meine, über solch
geschlechterspezifischen Kritiken oder sexuell diskriminierenden Vorgänge
erhaben zu sein. Ich will mich für Solches nicht interessieren, weil meiner
Meinung nach mit dem Interesse die Diskriminierung schon anfängt. Erst, wenn
normal ist, was mal aussergewöhnlich war, dann bedarf es keiner weiteren
Diskussion mehr und ist integriert in unser Leben und unsere Gesellschaft. Und
schon hat mich auch das Kopftuchthema eingeholt und mein eigenes Anliegen, das
Thema Integration.
Eigentlich geht es bei der Kopftuchdebatte immer um das Tolerieren
oder das Verbot. Es fällt mir verdammt schwer, dabei wirklich Stellung zu
beziehen, denn eigentlich hasse ich Verbote, sind sie doch immer ein Zeichen von
Gewaltausübung des gerade Stärkeren. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob es
Situationen gibt, wo dies das einzig verbleibende Mittel ist, um etwas
Nachhaltiges zu bewirken, schliesslich geht es hier um Frauenrechte,
Menschenrechte. Leider konnte ich mich bisher nicht wirklich für eine Seite
entscheiden. Ich schwanke je nach Schlagkraft der Argumente, die von der
jeweiligen Seite zu hören oder zu lesen sind zwischen Verbot und Akzeptanz. Da
ich mich aber zur Verfügung gestellt habe, an dieser Podiumsdiskussion zu diesem
Thema teilzunehmen, wäre es wohl ratsam, mich für einen Standpunkt zu
entscheiden. Das macht jetzt echt Stress, denn eigentlich will ich weder über
Toleranz debattieren, wenn von Seiten muslimischer Männer Nulltoleranz gegenüber
Frauen, die kein Kopftuch tragen wollen, propagiert wird, noch möchte ich Verbote
zementieren, die nicht in mein humanistisches, liberales Weltbild passen.
Ich
glaube, mein Zauberwort ist Integration. Ok, ein grosses Wort. Vielleicht fragt
sich jetzt auch die eine oder andere: Was weiss die denn schon? Nun, ich habe
eine Vision! Habt ihr gemerkt, das reimt sich, aber tönt vielleicht ein bisschen
hochtrabend. Dann nennen wir es „Vorstellung davon“
- und die kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich kann ich da doch ein
Stück eigener Lebenserfahrung ins Feld führen. Ich habe eine Tochter mit Down
Syndrom, und ich habe bei ihrer Geburt eine Entscheidung gefällt, nämlich, dass
sie und ich mit ihr, ein ganz normales Leben führen werden. Das heisst, und das
haben mich neunzehn Jahre Leben mit ihr gelehrt, dass sie in dieser, unserer
Gesellshaft ihren Platz haben soll, der sich nicht immer den gängigen Normen
unterordnet, sondern der ihr gerecht wird und sie doch sie selbst sein lässt.
Sie soll sich entfalten können als sie, als Mensch mit speziellen Fähigkeiten
und Bedürfnissen. Dazu ein Beispiel: Annina will ein Hiphopper sein und trägt am
liebsten Tag und Nacht ein dafür typisches Käppi. Ich finde, sie sieht damit
nicht wirklich vorteilhaft aus und ich versuche ihr ab und zu weis zu machen,
dass sie hübscher aussehen würde, wenn sie es wegliesse. Das ist ihr aber
ziemlich egal, und sie besteht darauf, es zu tragen. Ich sage mir dann:
„Wenigstens ist es kein Kopftuch!“ Und ich muss mich immer wieder zurücknehmen
und überprüfen, um nicht zuviel Einfluss zu nehmen und ihr nichts aufzuzwingen.
Ich bin ihre Mutter und hätte die Macht dazu. Doch diese will ich nicht ausüben,
denn ich wünsche mir für meine Tochter ein möglichst selbstbestimmtes Leben.
Jetzt wissen wir ja, dass die Wahl, ein Kopftuch zu tragen, selten ein wirklich
selbstbestimmter Entscheid ist, sondern von der Religion und von den Männern
und Vätern verlangt und bestimmt wird. Ein Verbot allerdings ist einfach die
andere Seite der Medaille und genauso wenig frei gewählt. Weder die Wahl dafür,
noch dagegen können mich nachhaltig überzeugen und ich bin, wie schon gesagt,
erst mal ratlos. Doch so schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Irgend eine
Lösung muss es geben. Kann in diesem Fall die Integration Abhilfe schaffen und
was würde das bedeuten? Dass wir akzeptieren, dass in unserer Gesellschaft
Bevölkerungsgruppen ihre Frauen schon als Kinder diskriminieren und sie soweit
indoktrinieren, ihr Haupt zu verhüllen und ihre Weiblichkeit zu verstecken? Oder,
dass wir den Mädchen verbieten, in der Schule ein Kopftuch zu tragen, was ihnen
da die Integration erleichtert, aber sie in ihrem familiären und kulturellen
Umfeld in Schwierigkeiten bringt?
Oder müssen wir nicht vielmehr die Mütter
integrieren, so dass sie unsere Sprache und unsere Gepflogenheiten kennenlernen?
Wenn sie eine Idee davon bekommen, was es heisst, frei wählen zu dürfen, sein
Leben selbst zu gestalten, selbstbestimmend zu sein, wird nicht in ihnen der
Wunsch wachsen, ihren Töchtern diese Möglichkeiten zu erschliessen? Werden sie
sich eines Tages zur Wehr setzen und für ihre Mädchen kämpfen, damit sie die
selben Chancen erhalten, wie ihre europäisch erzogenen Mitschülerinnen? Solange
auf dieser Welt nicht alle Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer, müssen
sie dafür kämpfen, auf der Strasse, aber auch im Stillen in der Familie. Und
wenn wir Frauen uns darauf besinnen, dass auf keinen Fall unsere Töchter, die
nächste Generation, die die Zukunft in sich trägt, durch diesen Kampf geschädigt
werden sollten, so ist wohl der sanfte Weg, der stete Tropfen, der den Stein
höhlt, der friedvollere. Es ist auch der langsamere Weg, der uns allen viel
Geduld abverlangt, aber auch viel Integrationsarbeit und Akzeptanz. Die Frage
bleibt, warum schon wieder die Frauen und Mütter diese Fronarbeit leisten
müssen. Diese Frage kann nur damit beantwortet werden, dass wir die Stärke dafür
aufbringen können. Die Gerechtigkeit muss vorerst die Vision bleiben.
Eben habe ich erfahren, dass ich in den Ferien bin, wenn dieses Podiumsgespräch stattfindet. Es wäre gelogen, wenn ich abstreiten würde, dass ich jetzt auch ein bisschen erleichtert bin, denn den Stein des Weisen habe ich zu diesem Thema jetzt zwei Stunden lang gesucht und nicht gefunden.