Kopftuchverbot: ja oder nein?

23:05:2014

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Ingrid Eva Liedtke
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Das muslimische Kopftuch. Bild: Daniel Winkler

Ingrid Eva Liedtke


"Ich schreibe leidenschaftlich gerne, über Themen, die uns Frauen betreffen, aber auch generell darüber, was mich berührt. Kreativität und Wissensdurst sind mein Motor. Ich liebe das Leben in seiner Fülle und würze gerne alles mit einer guten Prise Humor."

Es gibt einleuchtende Gründe dafür und dagegen. Darum wird schon so lange darüber debattiert. Meine Vision heisst Integration, und ich habe da so einige Erfahrungen, aber keine pfannenfertige Lösung.

 

Ingrid Eva Liedtke, Schönenberg TG

 

Ich sollte und wollte an einem Podiumsgespräch über das Kopftuchverbot teilnehmen und das Thema anlässlich eines Seminars für journalistisches Schreiben bearbeiten. Das  ist der Grund, warum ich mir daran überhaupt die Zähne ausbeisse und mein Hirn zermartere, auch weil mir die andere Aktualität, die Conchita eh wurst ist und ich meine, über solch geschlechterspezifischen Kritiken oder sexuell diskriminierenden Vorgänge erhaben zu sein. Ich will mich für Solches nicht interessieren, weil meiner Meinung nach mit dem Interesse die Diskriminierung schon anfängt. Erst, wenn normal ist, was mal aussergewöhnlich war, dann bedarf es keiner weiteren Diskussion mehr und ist integriert in unser Leben und unsere Gesellschaft. Und schon hat mich auch das Kopftuchthema eingeholt und mein eigenes Anliegen, das Thema Integration.


Debatte um Verbot oder Akzeptanz

Eigentlich geht es bei der Kopftuchdebatte immer um das Tolerieren oder das Verbot. Es fällt mir verdammt schwer, dabei wirklich Stellung zu beziehen, denn eigentlich hasse ich Verbote, sind sie doch immer ein Zeichen von Gewaltausübung des gerade Stärkeren. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob es Situationen gibt, wo dies das einzig verbleibende Mittel ist, um etwas Nachhaltiges zu bewirken, schliesslich geht es hier um Frauenrechte, Menschenrechte. Leider konnte ich mich bisher nicht wirklich für eine Seite entscheiden. Ich schwanke je nach Schlagkraft der Argumente,  die von der jeweiligen Seite zu hören oder zu lesen sind zwischen Verbot und Akzeptanz. Da ich mich aber zur Verfügung gestellt habe, an dieser Podiumsdiskussion zu diesem Thema teilzunehmen, wäre es wohl ratsam, mich für einen Standpunkt zu entscheiden. Das macht jetzt echt Stress, denn eigentlich will ich weder über Toleranz debattieren, wenn von Seiten muslimischer Männer Nulltoleranz gegenüber Frauen, die kein Kopftuch tragen wollen, propagiert wird, noch möchte ich Verbote zementieren, die nicht in mein humanistisches, liberales Weltbild passen. 


Erfahrungswert: Integration

Ich glaube, mein Zauberwort ist Integration. Ok, ein grosses Wort. Vielleicht fragt sich jetzt auch die eine oder andere: Was weiss die denn schon? Nun, ich habe eine Vision! Habt ihr gemerkt, das reimt sich, aber tönt vielleicht ein bisschen hochtrabend. Dann nennen wir es „Vorstellung davon“ - und die kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich kann ich da doch ein Stück eigener Lebenserfahrung ins Feld führen. Ich habe eine Tochter mit Down Syndrom, und ich habe bei ihrer Geburt eine Entscheidung gefällt, nämlich, dass sie und ich mit ihr, ein ganz normales Leben führen werden. Das heisst, und das haben mich neunzehn Jahre Leben mit ihr gelehrt, dass sie in dieser, unserer Gesellshaft ihren Platz haben soll, der sich nicht immer den gängigen Normen unterordnet, sondern der ihr gerecht wird und sie doch sie selbst sein lässt. Sie soll sich entfalten können als sie, als Mensch mit speziellen Fähigkeiten und Bedürfnissen. Dazu ein Beispiel: Annina will ein Hiphopper sein und trägt am liebsten Tag und Nacht ein dafür typisches Käppi. Ich finde, sie sieht damit nicht wirklich vorteilhaft aus und ich versuche ihr ab und zu weis zu machen, dass sie hübscher aussehen würde, wenn sie es wegliesse. Das ist ihr aber ziemlich egal, und sie besteht darauf, es zu tragen. Ich sage mir dann: „Wenigstens ist es kein Kopftuch!“ Und ich muss mich immer wieder zurücknehmen und überprüfen, um nicht zuviel Einfluss zu nehmen und ihr nichts aufzuzwingen. Ich bin ihre Mutter und hätte die Macht dazu. Doch diese will ich nicht ausüben, denn ich wünsche mir für meine Tochter ein möglichst selbstbestimmtes Leben. Jetzt wissen wir ja, dass die Wahl, ein Kopftuch zu tragen, selten ein wirklich selbstbestimmter Entscheid ist, sondern von der Religion und von den Männern und Vätern verlangt und bestimmt wird. Ein Verbot allerdings ist einfach die andere Seite der Medaille und genauso wenig frei gewählt. Weder die Wahl dafür, noch dagegen können mich nachhaltig überzeugen und ich bin, wie schon gesagt,  erst mal ratlos. Doch so schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Irgend eine Lösung muss es geben. Kann in diesem Fall die Integration Abhilfe schaffen und was würde das bedeuten? Dass wir akzeptieren, dass in unserer Gesellschaft Bevölkerungsgruppen ihre Frauen schon als Kinder diskriminieren und sie soweit indoktrinieren, ihr Haupt zu verhüllen und ihre Weiblichkeit zu verstecken? Oder, dass wir den Mädchen verbieten, in der Schule ein Kopftuch zu tragen, was ihnen da die Integration erleichtert, aber sie in ihrem familiären und kulturellen Umfeld in Schwierigkeiten bringt?


Die Mütter der Mädchen integrieren

Oder müssen wir nicht vielmehr die Mütter integrieren, so dass sie unsere Sprache und unsere Gepflogenheiten kennenlernen? Wenn sie eine Idee davon bekommen, was es heisst, frei wählen zu dürfen, sein Leben selbst zu gestalten, selbstbestimmend zu sein, wird nicht in ihnen der Wunsch wachsen, ihren Töchtern diese Möglichkeiten zu erschliessen? Werden sie sich eines Tages zur Wehr setzen und für ihre Mädchen kämpfen, damit sie die selben Chancen erhalten, wie ihre europäisch erzogenen Mitschülerinnen? Solange auf dieser Welt nicht alle Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer, müssen sie dafür kämpfen, auf der Strasse, aber auch im Stillen in der Familie. Und wenn wir Frauen uns darauf besinnen, dass auf keinen Fall unsere Töchter, die nächste Generation, die die Zukunft in sich trägt, durch diesen Kampf geschädigt werden sollten, so ist wohl der sanfte Weg, der stete Tropfen, der den Stein höhlt, der friedvollere. Es ist auch der langsamere Weg, der uns allen viel Geduld abverlangt, aber auch viel Integrationsarbeit und Akzeptanz. Die Frage bleibt, warum schon wieder die Frauen und Mütter diese Fronarbeit leisten müssen. Diese Frage kann nur damit beantwortet werden, dass wir die Stärke dafür aufbringen können. Die Gerechtigkeit muss vorerst die Vision bleiben.


Lösung?

Eben habe ich erfahren, dass ich in den Ferien bin, wenn dieses Podiumsgespräch stattfindet. Es wäre gelogen, wenn ich abstreiten würde, dass ich jetzt auch ein bisschen erleichtert bin, denn den Stein des Weisen habe ich zu diesem Thema jetzt zwei Stunden lang gesucht und nicht gefunden.


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