Das Kopftuch – ein Stück Stoff erregt die Gemüter (Teil I)

09:09:2013

Bild
Schwimmkurs mit u.a. muslimischen Flüchtlingsfrauen im Hallenbad City in Zürich: Die einen mit, die anderen ohne Kopftuch.
Bild
Esther Gisler Fischer ist Religionswissenschafterin und Integrationsfachfrau.

Esther Gisler Fischer ist Religionswissenschafterin und Integrationsfachfrau und wohnt in Dietlikon / ZH. Mehr über und von Esther Gisler Fischer unter www.contextus.ch.

Der Islam und mit ihm Muslime und Musliminnen sind in unserem Land in den letzten Jahren vermehrt zum Thema geworden. Insbesondere religiöse Symbole wie das Minarett und das Kopftuch erhitzen in Diskussionen regelmässig die Gemüter. Dabei ist von den rund 400'000 Musliminnen und Muslimen nur eine Minderheit explizit religiös. Fragen nach der Kompatibilität dieser Religion mit dem schweizerischen Rechtsstaat werden landauf landab gestellt. Momentan scheint die Ostschweiz das Epizentrum zu sein für die Auseinandersetzung mit dem Koptuch bei Schülerinnen.

 

Esther Gisler Fischer

 

Auslöserin war die 2010 erlassene Empfehlung des von SVP-Bildungsdirektor Stefan Kölliker präsidierten Erziehungsrats des Kantons St. Gallen, Kopfbedeckungen in der Schulstube generell zu verbieten. Unter dieses «Kopfbedeckungsverbot» fallen sowohl trendige Woll- und Baseballmützen, wie eben auch aus religiösen Gründen getragene Kopftücher, sogenannte Hijabs. Zuerst kam es deswegen in Bad Ragaz zum Konflikt, als eine 15-jährige Muslima gegen das Verbot bei der Regionalen Schulaufsicht rekurrierte.– und Recht bekam. Der Gemeindeschulrat verzichtete auf einen Weiterzug. Er hat den Ball an den Erziehungsrat zurück gewiesen mit der Aufforderung, eine für den ganzen Kanton verbindliche Regelung zu erlassen. Davon wollte dieser jedoch nichts wissen. 

Es ging weiter mit dem im vorauseilenden Gehorsam agierenden Schulrat im rheintalischen Altstätten. Zwei somalische Flüchtlingsmädchen wurden unlängst dort wegen ihres Kopftuchs von der Schule ausgeschlossen. Nach einem Schulratsentscheid dürfen sie nun aber doch wieder am Unterricht teilnehmen. Für das Schweizer Fernsehen war dies der Anlass, just am 22. Jahrestag des schweizerischen Frauensteiktags eine reisserisch aufgemachte ARENA-Sendung zum Thema zu veranstalten.

Da wurde meines Erachtens die journalistische Sorgfaltspflicht arg geritzt, indem dieses komplexe und vielfältige Thema sich offenbar profilieren wollenden PolitikerInnen sozusagen zum Frass vorgeworfen wurde: Da waren einmal die NationalrätInnen Lukas Reimann (SVP) und Yvonne Gilli (Grüne); beide aus Wil/ SG; zusammen mit der Berufsfeministin Julia Onken, welche leider mit ihrer Argumentation in den 70er Jahren stehen geblieben ist.

 

Als Betroffene war eine junge kopftuchtragende Frau namens Zehra Özdemir geladen, welche sich tapfer schlug und sich dennoch über Gebühr exponieren musste. Frau Onken zitierte ein Droste-Hülshoff-Gedicht, in dem die Sehnsucht nach dem Verspüren des Windes im flatternden Haar besungen wird. Das Erlebnis des frei flatterndes Haares, so Onken, wolle sie so gerne allen Mädchen in diesem Lande ermöglichen; darum ihr flammendes Plädoyer für ein Kopttuchverbot in der Schule. Ich fragte mich flugs, was denn mit den kurzhaarigen Mädchen passiert oder jenen, die ihr Haar zusammen gebunden tragen.

Mein Fazit: Ein Langhaar- und Haare-offen-Gebot muss her! Zudem beklagte sie eine allzu frühe Sexualisierung der Mädchen durch dieses Stück Stoff. Mir kamen andere Stoffstücke in den Sinn wie die rosaroten Bikinis, welche bereits kleinen Mädchen samt ihren Müttern in den Läden verklickert werden, obwohl sich oben noch gar nichts erhebt und oben ohne ganz ok ist. Von Sexualisierung da: Nein, keine Rede! Aber hallo dachte ich.

Frau Gilli ihrerseits rühmte die in der Volksschule Wil gängige Praxis, kopttuchtragende Mädchen beweisen zu lassen, dass sie fünfmal am Tag beten um dadurch den Tatbeweis zu erbringen, dass sie das Kopftuch wirklich aus religiösen Gründen tragen. Aus welchem missbräuchlichen Grund sie es sonst noch tragen könnten, hat sie leider nicht ausgeführt.

Auch da horchte ich auf und fragte mich als ehemalige römische Katholikin, ob dort wohl von röm.-kath. Schülerinnen, welche ein Kreuz um den Hals hängen haben verlangt wird, täglich zu beten, beichten zu gehen, die 10 Gebote strikt einzuhalten und die Ge- und Verbote des römischen Lehramts unhinterfragt zu akzeptieren.

Mein Schluss: Wohl doch eher nicht! Wohl eher stehen solche abstrusen Forderungen der Selbstdefinition von jungen Frauen entgegen und sind einer freien Entfaltung und Ausbildung einer Identität als werdende Frau, bzw. der religiösen Identitätsbildung in einem Migrationshindergrund eher hinderlich. So werden sie auf eine Religiosität festgeschrieben, die vielleicht gar nicht die ihrige ist. Weshalb die Mädchen nicht ausprobieren lassen, was für sie stimmt?

 

Lesen Sie hier den 2. Teil und hier den 3. Teil.


zurück            Diesen Artikel versenden
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch