Lernen so oder anders

Hätten Sie's gewußt?

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Die Gehirne der Mädchen entwickeln sich anders als jene der Jungs. Darum lernen sie auch anders.
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Ich bin Sarah, vierzehnjährig, lern- und schreibfreudig und hoffe, dass euch meine Gedanken gefallen.

Vera F. Birkenbihl

Vera F. Birkenbihl ist Management-Trainerin und Leiterin des Institut für gehirngerechtes Lernen. Sie hat mehrere Bücher verfasst und ist eine Korriphäe auch auf dem Gebiet des Sprachenlernens. 


Meine Meinung:

Beim Studium der Forschungsergebnisse von Vera F. Birkenbihl ist mir ein Licht aufgegangen. Es macht also Sinn, Jungen und Mädchen, zumindest in einzelnen Lerngebieten zu trennen und wenigstens nicht in jedem Fall gleich lernen zu lassen.

Somit wären die immer wieder herausragenden Leistungen der Mädchenschulen wie Maitlisek in St. Gallen, das Kathi in Wil oder das Internat in Ingenbohl erklärbar. Erstaunlich also, dass sich immer wieder Kräfte dafür einsetzen, diese Schulen für Mädchen und Knaben zu öffnen.

Mädchen lernen anders als Jungs? Ist das wirklich so? Und wo liegt dann der Unterschied? Diese und andere Fragen beschäftigen mich schon lange, wenn ich meine Schulkameraden mit den Mädchen oder meinen Bruder mit mir vergleiche. Was sagt wohl eine Gehirnforscherin dazu?

 

Sarah Forrer

10:10:2011

 

Mein Bruder, knapp ein Jahr älter als ich, lernt ganz anders. Das beschäftigt mich schon längere Zeit. Auch beim Beobachten meiner Schulkameradinnen und –kameraden fällt mir immer wieder auf, wie unterschiedlich die Girls und die Boys zu lernen scheinen. Gibt es also männliche und weibliche Lernstrategien? Und wenn ja, wie lernen Mädchen und wie lernen Jungs?


Über Lerntechniken ist zwar im Internet vieles zu finden, nichts aber, dass mich ganz überzeugt, bis auf die Studien von Vera F. Birkenbihl. Die Leiterin des Instituts für gehirngerechtes Lernen beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Unterschieden von Jungs und Mädchen. "Differenzen zeigen sich schon sehr früh", ist sie überzeugt. Schon die Reaktionen von Neugeborenen in den ersten Tagen seien unterschiedlicher Art. Anhand von Video-Aufzeichnungen und Beobachtungen hat Birkenbihl herausgefunden, dass leicht erkennbar ist, ob es sich beim Neugeborenen um ein Mädchen oder einen Jungen  handelt. Dabei spiele es  für den Beobachter keinerlei Rolle, wie stark verhüllt das Baby sei.


Zeigte man den Babys in gewohnter Distanz  etwa lebensgrosse Bilder von Köpfen, erkannten Jungs die Gesichter ihrer Eltern erst Wochen nach den Mädchen. Mädchen lauschten auch doppelt so aufmerksam, wenn sie Menschenstimmen hörten. Auch der Augenkontakt sei länger bei den wenige Tage alten Girls. Jungs hätten erst Wochen später die Fähigkeit, Augenkontakt zu halten. Videoaufzeichnungen am Gartentor zeigen bei den drei- bis vierjährigen Kindern auf, wie sich Jungs gleich ins Geschehen stürzen, während die Mädchen für den Abschied dreimal so lange benötigten und oft sehnsüchtige Blicke zur Mutter zurück werfen und  immer wieder winken. Jungs müssten von den Müttern  stets dazu animiert werden.


„Niemand ist aber zu hundert Prozent weiblich oder männlich“, gelangt Birkenbihl dennoch zum Schluss. Vielmehr müsste man sich ein Spektrum vorstellen, das am einen Ende weiblicher und am anderen männlicher Natur sei. Dass Mädchen aber emotionaler, zickiger und gesprächiger sind, ist längst erwiesen. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch dementsprechende männliche Zickerer und Plauderer gibt. So sollte jedes Mädchen, jeder Junge, von Fall zu Fall beurteilt werden, damit sich zeigt, ob bei ihm oder bei ihr die männlichen oder die weiblichen Aspekte hervorstechen.


Sprach- und Lernfelder unterscheiden sich

Ist der Mensch wirklich ein Augentier?, gilt es zu beantworten. Wenn ja, dann muss das Auswirkungen auf das Lernverhalten haben. Ist daraus aber auch die Lese- und Schreibstärke der Mädchen gegenüber den Jungs zu erklären. Sind Mädchen wirklich reifer? Vera F. Birkenbihl beschreibt, wie sich Lernfenster öffnen, wenn Kids über längere Zeit beobachtet werden können, wobei einige Entwicklungsschritte auch später noch nachgeholt werden können.


Oft hilft beim Beobachten die Annahme, dass Kinder eines bestimmten Alters bestimmte Dinge machen können müssten. Birkenbihl hinterfragt dies aber klar. Es  handle sich dabei nur um Handlungskompetenzen und nicht um Wissen. Seit über hundert Jahren wissen wir von Maria Montessori und Alfred Binet, dass der Unterschied bei den Kindern im  Schnitt plus/minus zwei Jahre gerechnet werden muss und dass Unterschiede Norm sind.

In den Montessori Kinderhäusern aber konnten die Weichen gleich richtig gestellt werden, indem man den Kindern ein Umfeld zur Verfügung stellte, in dem sie lernen konnten, wann immer sie wollten. „Kinder zieht es zu bestimmten Tätigkeiten, wenn sie innerlich bereit dazu sind“, so Montessori.


Wächst ein Kind mehrsprachig auf, werden sämtliche Wörter der verschiedenen Sprachen in einem einzigen Sprachfeld im Gehirn gespeichert. Erst später erlernte Sprachen werden dagegen in eigenen Sprachfeldern abgelegt. Je später eine Sprache erlernt werde, umso eher suche das Gehirn erst im muttersprachlichen Reservoir.

Vokabelpauken unterstütze diesen Mechanismus, weil das deutsche Wort untrennbar mit dem fremdsprachlichen verbunden werde. Birkenbihl findet darum, dass es nichts bringt, stundenlang zu pauken.


Weitere Lernfelder wie das Linienzeichnen, das Einpacken, das Rotieren, das Transportieren und Verbinden zeigen deutliche Lernstrategien auf. In England gibt es Projekte, in denen Eltern aus bildungsfernen Haushalten geschult werden.

Man zeigt ihnen auf, wie normal begabte Kinder hantieren und dabei die Umwelt entdecken und nebenbei  lernen. Die Eltern lernen, sich mit anderen Eltern auszutauschen und die Lernfelder der eigenen Kids zu erkennen und zu unterstützen.


Mädchen und Jungs entwickeln sich anders

„Wenn Jungs Entwicklungsschritte erst nach der Pubertät entwickeln, laufen alle Versuche, kleine Jungen zu feinmotorischen Tätigkeiten zu zwingen, der natürlichen Entwicklung zuwider“, ist Birkenbihl überzeugt. Wenn in Klassenräumen, Restaurants oder Wartesälen kleine Buben zum Stillsitzen gezwungen werden, ist das gegen ihre Natur. Jungen entwickeln mit 40 Prozent der Körpermasse fast die doppelte Muskelmasse wie die Mädchen (24 Prozent).

Sie müssen darum fast doppelt so viele Nervenbahnen im Kopf anlegen, um als Marionetten zu funktionieren.


Mädchen werden neurologisch reifer geboren und haben mehr Nervenbahnen für die Muskelarbeit angelegt, bis sie zur Welt kommen. Das bringt ihnen einen doppelten Vorteil gegenüber den Jungs.

Das Gehirn ist darum auch kleiner. Die Muskelkraft wird erst nach der Pubertät so richtig aufgebaut. Das ist die Erklärung, warum junge Mädchen mit dem Tennisspielen, dem Reiten oder dem Tanzen erst während oder nach der Pubertät beginnen.


Das Umfeld sieht leider so aus, dass die Kinder in den Klassenzimmern stundenlang ruhig sitzen müssen, was den Knaben schwerer fällt und gegen alle genetischen Vorgaben verstösst.

Zu Hause sitzen die Kids dann am TV-Gerät oder PC und bewegen sich dabei ebenfalls kaum.  In Pausen ist zu beobachten, dass die Mädchen oft still sitzen, während die Knaben sich bewegen. Stehen die Jungs, dann wippen sie oft unruhig hin und her.


Die Grobmotorik beginnt bei den Jungen vor, bei den Mädchen nach der Pubertät. Sie beginnt mit der Körperbewegung, zum Beispiel dem Ballspielen mit dem Werfen und Fangen. Es gehört dazu die Entwicklung der Kraft. Bei der Feinmotorik verhält es sich anders herum. Die Mädchen bewegen sich vor, die Jungs nach der Pubertät feinmotorisch gezielt. Dazu gehören Fähigkeiten wie das Balancieren, die Grazie, die Flüssigkeit der Bewegungen.


Studien beweisen, dass die Jungs nicht schlechtere Schüler sind, wenn sie ihren Bewegungsdrang ausleben können. Zappelphilippe und ADHS-Kinder seien viel seltener als angenommen, meint Birkenbihl. "In Ländern wie China drillt man zwar die Kinder, schickt sie dann aber auch regelmässig wieder in den Hof, um Gymnastik zu trainieren", beschreibt sie. 

80 Prozent der lernschwachen Kinder sind gemäss Studien Jungs. Das liegt daran, dass es ihnen im Lernalltag an Bewegung fehlt, die für sie lebens- und lernenswichtig ist.


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