Musik mit Leib und Seele: die Jazzsängerin Lisette Spinnler

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Lisette Spinnler bebt, tobt und - fasziniert.
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Lisette Spinnler mit ihrer Band.

Mehr über Lisette Spinnler, ihren Werdegang, ihre CD "In Between" und die nächsten Konzert-
auftritte erfahren Sie auf ihrer Homepage: www.lisettespinnler.com.

Am 8. und 9. Februar stand das Theater Chur ganz im Zeichen des Club Descarga: Unter der Leitung von Heinz Girschweiler brachten The Salsizartchestra und der Jazzchor Arcas Syncopics das Flair südlicher Sommernächte in die graue Jahreszeit. Das begeisterte Publikum liess sich gerne mitreissen, vor allem, da als Frontfrau die hervorragende Jazzsängerin Lisette Spinnler gewonnen werden konnte. Ein Portrait.

 

Selma Mahlknecht

13:02:2008

 

"Malena singt den Tango wie keine andere, und in jede Strophe legt sie ihr ganzes Herz..." heisst es im Lied "Malena". Diese Verse von Homero Manzi charakterisieren auch die Musik von Lisette Spinnler: Ob es nun die Nächte in Tunesien (Night in Tunisia) sind oder eine sentimentale Stimmung (In a sentimental mood), sie verleiht allem ihre ganz besondere Note.

 

Der Zuschauer wird staunender Augen- und Ohrenzeuge eines nahezu magischen Geschehens: Nach wenigen Takten wird die zuvor noch so zurückhaltende und ruhige junge Frau zur Schamanin, zum Medium einer anderen Welt, die aus ihrem Innersten steigt und der sie mit fliegenden Handbewegungen nachspürt. Singen bedeutet bei ihr unbedingtes Da-Sein im Hier und Jetzt, ihr ganzer Körper wird zum Instrument, beginnt zu beben und zu flattern, verwandelt sich wie die Stimme, die er trägt: zärtlich und klagend, dann wieder verspielt schnatternd oder im halbernsten Gestus eines schimpfenden Marktweibs erzählt Lisette Spinnler von der bunten Vielgestaltigkeit des Lebens.

 

Dazu braucht sie keine Worte, und daher ist es auch ganz gleichgültig, ob sie nun Spanisch, Englisch oder in welcher Sprache auch immer singt. Es genügt ihre explodierende Energie, mit der sie auch mal zur vibrierenden Trompete wird oder zum knatternden Feuerwerk. Schreien, Lachen, Jauchzen, Seufzen sind ebenso Teil der Musik wie präzise und weich vorgetragene Melodien, kratzbürstige Töne gesellen sich zu anschmiegsam schmeichelnden zu einem faszinierenden Gesamtklang, der überrascht und berührt und trotz oder gerade wegen seiner Gegensätze verzaubert, da man in jeder Phrasierung, jeder neuen Wendung die Authentizität dieser Sängerin verspürt. Ganz eins mit sich zu sein, nahezu in Trance zu geraten im scheinbar regellosen "flow" des Free Jazz: bei Lisette Spinnler scheint es selbstverständlich zu sein.

 

Doch was so einfach aussieht, ist das Ergebnis eines langen Weges, der bereits in ihrer Kindheit begann. Es war die ländliche Welt der Westschweiz, in der Lisette relativ behütet und dem Trubel grosser Städte fern aufwuchs. Im Elternhaus herrschte eine warmherzige und kreative Atmosphäre. Der Vater, ein "Phantasiemensch", hielt nichts von der Musik aus der Konserve, lehnte das "ewige Lied" der Radioanstalten ab. Viel besser gefiel es ihm, selbst Lieder zu erfinden, je bunter und freier, desto besser. Damit steckte er auch die kleine Lisette an, die bald in den örtlichen Singkreis eintrat und dort den Gesang als Quelle von Kraft und Lebensfreude erlebte. Zu den Vorbildern aus dem familiären Kreis kamen bald andere hinzu. Vor allem die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli und ihr temperamentvolles und zugleich gekonntes Spiel mit der Stimme faszinierten Lisette Spinnler. Sie beschloss, sich ganz der Musik zu widmen.

 

Vier Jahre lang studierte sie klassischen Liedgesang, ehe sie sich dem Jazz zuwandte und an der Musikhochschule Basel bei so namhaften Lehrerinnen wie Sandy Patton und Susanne Abbuehl ihr Können ebenso wie ihr Repertoire erweiterte. Was folgte, waren zahlreiche Auftritte mit den Grossen der "Szene", Förderpreise und euphorische Kritiken, die Lisette Spinnler gar als "viel versprechendste junge Schweizer Sängerin" bezeichneten. All dies sieht man der Künstlerin jedoch nicht an. Ihr Auftreten ist bescheiden und zugänglich geblieben. Sie singt, und alles andere scheint zweitrangig zu sein. Ob Blues, Pop, Klassik - auch das Genre spielt hierbei keine Rolle. Wichtiger ist, dass die Musik authentisch ist, von Herzen kommt und zu Herzen geht. Dass dies unabhängig von Sprache und Kultur geschehen kann, hat Lisette Spinnler auf ihren Reisen erfahren, die sie für ein halbes Jahr nach Westafrika, aber auch nach Peru führten.

 

Ob es das besondere Licht der südlichen Sonne ist, das ihrer Stimme einen so warmen Ton verleiht? Oder sind es die zwischenmenschlichen Erlebnisse, die der Künstlerin zeigten, wie das Zusammenleben in einer Welt fern unserer von Egoismus und Materialismus geprägten Hochglanzgesellschaft funktionieren kann? Eines jedenfalls ist klar: Die Reduktion auf das Wesentliche, Verzicht auf Glamour und Starrummel - auch dies zeichnet die Jazzsängerin aus. Sich dem ätzenden Urteil einer selbstherrlichen Jury zu stellen, um "Superstar" für wenige Wochen zu werden, davon hält sie nichts. Die Musik muss gut tun und mit dem eigenen Ich "stimmig" sein, nur dann kann man sich durch sie bereichern, durch sie gereinigt werden und alles loslassen, was im Alltag belastend oder hemmend ist. Kunst ist demnach nicht etwas Elitäres, das wenigen vorbehalten ist, sie durchdringt das Leben eines jeden, der sich von ihr berühren lässt. Und wenn man es nur zulässt, kann sie geradezu befreiend wirken. Stress, Unzufriedenheit, Frustration, die als Geiseln unserer gehetzten Welt gelten und uns von uns selbst entfernen, verlieren sich in der Musik und verwandeln sich in Kraft.

 

Was so esoterisch klingt, wird zur einfachsten Sache der Welt, wenn man Lisette auf der Bühne erlebt. Hier, spürt man, hat man es mit einer Könnerin zu tun, die ihr Handwerk von der Pike auf beherrscht, aber es nicht mehr nötig hat, mit stilistischer Virtuosität aufzutrumpfen. Was Lisette Spinnler mit ihrem Publikum teilt, ist nicht die getreue Reproduktion bekannter Salsa- oder Jazz-Standards, sondern die Neu-Erfindung dieser Musik aus der Stimmung des Augenblicks heraus. So wird jedes Lied, jedes Solo zum einmaligen und zugleich einzigartigen Erlebnis, das ansteckt und begeistert.

 

Kein Wunder, dass die Künstlerin auch als Gesangs-Lehrerin an der Jazz-Abteilung der Musikhochschule Basel gefragt ist. Eines jedenfalls ist sicher: Man wird noch viel von ihr hören. Und dann vielleicht werden selbst die Journalisten der Südostschweiz ihren Namen kennen und ihn nicht mehr "Spindler" schreiben...


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