Reaktion auf Julia Onken: Minarette? Eigentlich kein Problem.

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Ina Prätorius: Hinter Frauenfeindlichkeit und Islamophobie steckt derselbe ideologische Mechanismus.
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Auch Julia Onken beschäftigt die Minarett-Initiative.

Mehr zum Thema der Minarett-Initiative lesen Sie bei ostschweizerinnen.ch mit diesem Link.

Liebe Julia Onken, ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in der Auseinandersetzung "des Westens" mit "dem Islam" immer wieder ganz ähnlich argumentiert wird wie in der Debatte um die Frauenemanzipation? Da heisst es zum Beispiel, der Islam sei irrational, er vertrage sich nicht mit den Werten der westlichen Demokratie. Erinnert uns das nicht an das Argument, Frauen seien zu emotional, um vernünftige Politik zu machen? Oder man wirft "dem" Islam vor, er strebe nach Macht.

 

Ina Prätorius

13:11:2009

 

Bestimmt sind Sie auch schon oft gefragt worden, was "die Frau" denn eigentlich statt des Patriarchats wolle? Etwa ein Matriarchat? Also Macht!

Irrationalität plus Machtstreben ergibt: Gefahr! Das scheint in gewissen Kreisen für "die Frau" ebenso zu gelten wie für "den Islam".


Sicher: die Regeln der politischen Korrektheit haben inzwischen dazu geführt, dass kaum jemand mehr offen frauenfeindliche Vorurteile auszusprechen wagt. Und an den mittlerweile etablierten Bundesrätinnen, zum Beispiel, kann ja auch jedermann sehen, dass Frauen per Geschlecht weder zu gefühlsbetont noch zu machtversessen sind, um gute Politik zu machen. Trotzdem: noch im Jahr 2004 hat die römische Kongregation für die Glaubenslehre uns Feministinnen vorgeworfen, es gehe uns um ein schändliches "Streben nach Macht", wenn wir zum Beispiel für die Zulassung der Frauen zum Priestertum streiten.

Der Vatikan ist nicht niemand, und er befindet sich eindeutig nicht im fernen Orient. Die Meinung, "die Frau" sei gefährlich, sobald sie aus der Vormundschaft des Mannes entlassen werde, ist noch nicht ausgestorben. Und was den Islam angeht, ist das Zusammenschmelzen der unvertrauten Anderen zur einheitlichen bedrohlichen Substanz derzeit in vollem Gange. Auch Sie scheinen der Meinung zu sein, "der" Islam sei eine einzige Macht, die unsere westlichen Freiheiten bedroht. Schneiden Sie sich damit als Feministin nicht ins eigene Fleisch? Indem Sie das patriarchale Spiel, Andere als amorphe Materie (Materia von gr./lat. Mater=Mutter) wahrzunehmen , mitspielen?


Was bedeuten die offensichtlichen Parallelen in der Beurteilung "des" Islam und "der" Frau? Sie weisen uns darauf hin, dass es sich um denselben, zumindest einen vergleichbaren Mechanismus handelt, wenn gegen das "Vordringen" "der" Frau und "des" Islam gekämpft wird. In beiden Fällen wird ein einheitlicher Gegner konstruiert: "Die" Frau. "Der" Islam. Diesem Phantom werden dann bestimmte Eigenschaften zugeschrieben - Irrationalität, Machtstreben, Bedrohlichkeit. Und schliesslich wird, konsequent, die Kontrolle der Anderen durch gesetzliche Massnahmen - Minarettverbot, Kopftuchverbot, Ausschluss der Frauen aus dem Priesteramt usw. - gefordert.

Hinter Frauenfeindlichkeit und Islamophobie steckt derselbe ideologische Mechanismus: die Vereinheitlichung des Gegners zu einem Popanz, der dann als Bedrohung des freien, rationalen, mündigen, demokratiefähigen Mannes bzw. Westens herzuhalten hat.


Wie setzen wir Frauen uns gegen das Vorurteil, wir seien irrational, machtbesessen, kontrollbedürftig, ergo gefährlich, eigentlich zur Wehr? Indem wir darauf bestehen, dass wir viele und dass wir verschieden sind. Sie und ich, zum Beispiel, wir scheinen hinsichtlich der Beurteilung des Islam eindeutig verschieden zu sein, und das ist sehr gut so. Denn "die Frau" gibt es ja eben nicht. Vielmehr ist die Vereinheitlichung der Frauen zur "Frau" der zentrale Trugschluss im Kern der patriarchalen Ideologie.


Unsere politische Strategie, auf der Pluralität von Frauen zu bestehen, war vorerst erfolgreich. Gesetzliche Bestimmungen zur Begrenzung der angeblich minderwertigen und gefährlichen Weiblichkeit sind weitgehend abgeschafft. Und solches Bestehen auf inneren Differenzen wird hoffentlich auch erfolgreich sein in der Auseinandersetzung "des" Westens mit "dem" Islam, der nämlich ebenso wenig als einheitliche Substanz existiert wie "die Frau".


Sie beklagen in Ihrem Beitrag, dass die "Führungsspitze der jüdischen Religion, der römisch-katholischen, protestantischen und anderen christlichen und nichtchristlichen Gemeinschaften, sowie alle Parteien - ausser der SVP" sich im Abstimmungskampf um die Anti-Minarett-Initiative für Toleranz, also gegen die Initiative ausspricht. Bis zu einem gewissen Grad stimme ich Ihnen zu: Toleranz allein reicht sicher nicht, es braucht eine vertiefte Auseinandersetzung mit und vor allem auch zwischen den Muslimas und Muslimen, vergleichbar der Debatte, die wir Feministischen Theologinnen seit vielen Jahren mit unseren offiziellen Kirchen führen, die nämlich bekanntlich - zumindest oberflächlich betrachtet - ebenso patriarchal sind wie zahlreiche Spielarten des Islam:


Auch in der Bibel stehen ja all die anstössigen Aussagen, von denen viele Menschen heute meinen, sie stünden nur im Koran. Auch Jesus hat einmal gesagt, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert (Mt 10,34). Bei Paulus steht, die Frauen sollten in der Gemeinde schweigen (1 Kor 14,34), ihren Kopf bedecken (1 Kor 11,5f) und sich ihren Männern unterordnen (Eph 5, 22 u.a.).

Auch Sklaverei, Gewalt und Krieg werden in der Bibel nicht eindeutig verurteilt. - Trotzdem gibt es längst Theologieprofessorinnen und Predigerinnen, in den protestantischen Kirchen auch Pfarrerinnen und Bischöfinnen. Trotzdem gelten die christlichen Kirchen inzwischen als kompatibel mit Demokratie und Menschenrechten. Warum? Weil für sie wie für alle Religionen gilt, dass sie in sich vielfältig und damit auch wandlungsfähig sind: Wir können die Heiligen Schriften, Bibel, Koran und alle anderen, kritisch lesen.

Wir können Widersprüche, die es in der Bibel ebenso gibt wie im Koran (vgl. z.B. Eph. 5, 22 versus Gal 3,28), aufdecken und uns für bestimmte Auslegungen entscheiden. Wir können als christliche Frauen darauf bestehen, dass Gott kein Mann ist, der vom Himmel herab das Patriarchat legitimiert. Warum sollte solche Kritikfähigkeit nicht auch für Muslime möglich sein? Es gibt ja längst muslimische feministische Theologinnen, die in ein ähnlich konstruktives Gespräch mit ihren Traditionen eingetreten sind wie wir Christinnen.

Die meisten bleiben, trotz harter Kritik, ihrer Religion verbunden, so wie auch ich Christin geblieben bin, obwohl mich das bis heute andauernde patriarchale Gehabe vieler fundamentalistischer oder einfach denkfauler Kirchenmänner und -frauen immer wieder Nerven kostet. Aber ich weiss inzwischen: Weiblichkeit, Männlichkeit, Christentum, Islam, Okzident und Orient sind vielschichtige Gebilde, die einander immer wieder überraschen und die zu erstaunlichen Wandlungen fähig sind.


Ich meine: Wir Feministinnen tun uns und der Welt keinen guten Dienst, wenn wir uns dem leider immer noch gängigen patriarchalen Spiel anschliessen, die ganze Welt als konventionelles Ehepaar wahrzunehmen: ein freier vernünftiger überlegener demokratischer (ergo: "männlich-mannhafter") Westen wird von einem irrationalen gefährlichen machtgierigen (ergo: "weiblichen") Osten bedroht, weshalb der fortschrittliche Okzident den rückschrittlichen Orient begrenzen, massregeln, möglichst komplett kontrollieren muss wie der Eheherr sein Weib. - Die Welt ist definitiv komplizierter.

Sie besteht aus ängstlich-zölibatären Päpsten, feministischen Muslimas, avantgardistischen Pfarrern, fundamentalistischen Christen, muslimischen Demokraten, militaristischen Protestantinnen, begriffsstutzigen Atheisten und vielen komplizierten realen Menschen mehr. Mit Simplifizierungen ist uns nicht gedient. Was wir brauchen, sind gründliche, kritisch-selbstkritische Gespräche in differenziert-respektvoller Wahrnehmung der unvertrauten Anderen.

Oder wollen Sie etwa, dass die aufrechten Mannen von der SVP demnächst auch "die Frau" wieder aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen versuchen werden, indem sie uns unendlich verschiedene Frauen allesamt als emotional, machtgierig und also gefährlich für "den Mann" und seine freiheitlichen Errungenschaften darstellen?


Mit einem herzlichen Gruss

Von Ina Praetorius

Wattwil


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