Manches ist leicht für andere

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Nermina Nuhodzic sammelt Fotos von Kindern und Hochzeiten.
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Wer die Bilder hat, hat die Macht - auch jene der Erinnerung.

Nermina Nuhodzic
ist 23 Jahre alt und kommt aus Bosnien. Die junge Migrantin lebt seit 3,5 Jahren in der Schweiz und arbeitet als Interkulturelle Übersetzerin. 

Endlich hatte ich wieder einen kleinen Erfolg. Ein Lichtblick im dunklen, einsamen, manchmal trostlosen Leben als Migrantin. Diese Dunkelheit sieht man nicht, weil die Fassade aussen ja jung, narbenlos und noch nicht verwittert ist. Dabei spielt sich das Wesentliche innen ab.

 

Nermina Nuhodzic

20:08:2008

 

Eine einzige Bedingung war, ich sollte fremden Menschen zwei Fotos schicken, danach würden meine Gedanken den Weg zur Öffentlichkeit finden. Schien alles so einfach, so leicht - für andere. Für mich ein langer Prozess, den ich nach Tagen überwinden konnte. Ich durchwühlte meine Fotoalben, kramte alte Kisten aus dem Keller hervor, in denen meine Vergangenheit schlief. Zu Fotografien hatte ich schon immer ein ziemlich gespaltenes Verhältnis, unfreiwillig musste ich mir darüber immer Gedanken machen. Ich bin nicht wie die sympathischen japanischen Touristen, die sorglos losknipsen und sich nie fragen, warum sie den Auslöser bis zum Wundsein drücken.

 

Ich habe keine Kinderfotos. So grausam das jetzt für die aufmerksame Leserin aussieht, so fühlt sich das auch für mich an. Es braucht sehr viel Mut und Selbstvertrauen, um dies so offen zu sagen. Aber das habe ich mit den Jahren so gelernt, oder ich musste es lernen.
Anfangs 90-er Jahre war auf dem Balkan die perfekte Zeit, um Kinder zu bekommen. Ich blieb aber wegen der politischen Situation ein Einzelkind. Meine Eltern haben mich, nach ihrer Aussage, mehr fotografiert als sie es sollten. Sie waren fasziniert von ihrem Produkt, das auch noch lebte und lachte. 7 Jahre später lebte ich mit meiner Mutter und meiner Grossmutter im Luftschutzbunker mit 20 anderen Nachbarn aus dem Hochhaus mitten in der Hauptstadt.
Meine Grossmutter konnte die Enklave des Feindes verlassen, obwohl sie lieber in der eigenen Wohnung gestorben wäre, als diese jemand anderem zu überlassen.
Sie erzählte uns, als sie bei uns in einer trügerischen Sicherheit war, dass die Männer unsere Fotos aus Spass verbrannten. Nicht weil sie sonst nichts zum Verbrennen hatten, es gab genug Bücher in unserer alten Wohnung. Sie haben nur Fotos verbrannt, als Zeichen, dass es diese Menschen nicht mehr gab. Kinderfotos, Hochzeitsfotos meiner Eltern, Urlaubsbilder von der Adria, die Lebensgeschichten dieser Menschen waren weg.
Das einzige, was ich noch aus meiner Kindheit besitze, sind 2 verknitterte Bilder, die meine Eltern im Portemonnaie hatten. Und auf diesen bin ich mindestens schon 5 Jahre alt.

Ich habe eine seltsame Angewohnheit - ich kaufe in Brockenstuben oder in Antiquariaten alte, vergilbte Fotos, die alle über 100 Jahre alt sind. Ich durchforste dann das Leben anderer, die es schon lange nicht mehr gibt. Genauer, ich kaufe nur Kinder - und Hochzeitsfotos aus einem anderen Jahrhundert. Ich bewahre sie auf, nicht weil sie mir gefallen, sondern weil sie einen Platz verdienen.
Schräg? Nicht für mich.ich konserviere nur fremde Schicksale, weil jemand meine Geschichte damals verbrannte, weil niemand meine Erinnerungen retten konnte.


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