Das erste deutsche Wort

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Nermina Nudhodzic...
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...lebt gern in der Schweiz.

Nermina Nuhodzic
ist 23 Jahre alt und kommt aus Bosnien. In der Schweiz lebt die junge Migrantin  seit 3,5 Jahren glücklich und integriert. "Durch mein Schreiben fühle ich einem speziellen Thema auf den Zahn. Eigentlich möchte ich dadurch meine alten Erinnerungen als Migrantin loswerden, andererseits treffe ich als Interkulturelle Übersetzerin regelmässig auf viele Schicksale unserer Mitmenschen, die auch in der schönen Schweiz leben, von denen aber niemand etwas ahnt", so Nermina Nuhodzic.

Ich bin also offiziell Migrantin geworden. Ich war genau 18,5 Jahre alt, als ich diesen Schritt wagte und den Titel auf mich nahm. Es geschah klanglos, vollkommen ohne Glanz und Prunk und Protz, es war kein feierlicher Moment, aber doch wert, ihn noch mal zu erwähnen. Vielleicht kann ich diesen Moment festhalten, weil er mir wie ein Meilenstein in meiner Wanderung scheint. Möglich, dass die Wurzeln viel tiefer begraben sind, weil bei allen Menschen einige Schicksalswege früh gelegt werden.

 

Nermina Nuhodzic

31:07:2008

 

Früh heisst bei mir nicht unbedingt, dass es der Tag war, an dem ich aus dem Gebäude der Fremdenpolizei in Bern herauskam. Dieses imposante Gebäude war damals noch in Bauplanen und Gerüste gehüllt. Es herrschte dementsprechendes Chaos, ich hatte also nicht gerade ein gutes Gefühl im Bauch. Ich war Studentin im 1. Semester, Kunst als Hauptfach, konnte Hochdeutsch, was mir aber aus meiner Sicht nicht viel geholfen hat.

Jedenfalls war die Ablehnung doch merklich spürbar, egal wie perfekt ich das deutsche R rollte, egal wie weich mein H klang - ich war eine Ausländerin. Man stellte mir viele Fragen, teilweise banale und selbstverständliche Sachen musste ich schriftlich nachweisen, man wollte mehr erfahren über meine Gründe, die mich zum Auswandern bewegt haben.
Schlussendlich übergab mir das türkische Fräulein in knallroter Bluse meinen Ausweis, ein grosses L ganz vorne. Nach meinem ersten Semester musste ich wieder einen neuen haben. Immerhin war ich jetzt angekommen, hatte einen berechtigten Grund, auch hier zu leben. In meinem Ausweis, meiner neuen Schweizer Identität, stand als Aufenthaltszweck: Kunststudentin...

Genau 11 Jahre vorher lernte ich mein erstes Wort in Deutsch. Es war 1993/94, ich erinnere mich nicht an viel, nur an das beklemmende Gefühl, fremd und unerwünscht zu sein. Meine Mutter nahm mich an die Hand und wir waren nach einer Odyssee durch halb Europa in Deutschland angekommen. Ich meine mich noch zu erinnern, dass der Konvoi mit 60 Frauen und Kindern einen Monat im Dezember unterwegs war, ohne Toiletten, Wasser oder warme Kleidung.
Und es gab viele Begegnungen mit bärtigen Männern in langen, schwarzen Mänteln und mit grossen Schusswaffen.

Einmal traf unser Bus auf ein ausländisches Reporterteam, das aus der Kriegsregion berichtete. Uns Kindern gaben die "Schwarzen Männer mit Bart" eine Dose Cola und ein Stück Brot, sagten aber unseren Müttern, dass jedes Kind erschossen wird, wenn es diese Sachen konsumiert.
Meine Mutter konnte mich überzeugen, diese unbekannten Sachen nicht anzurühren, die ich nach einigen Jahren im Krieg als Kind schon vergessen hatte. Nachdem die Reporter die glücklichen Flüchtlingskinder abgelichtet hatten und gingen, wurde uns alles weggenommen. Unser Busfahrer wurde mitgenommen, es kam ein anderer...

Im Flüchtlingsamt in München konnte meine Mutter, mit mir an der Hand und ohne jegliche Deutschkenntnisse, unsere neuen Pässe abholen. Die Frau hinter dem Tresen war von uns durch eine dicke Glasscheibe getrennt, worauf ich meine Mutter leise fragte, ob die Frau vor uns Angst habe oder ob sie schlimm krank sei. Warum wäre sie sonst so isoliert und allein?
Ein dunkelblaues Büchlein mit goldenem Wappen, Lilien, die auf der Frontseite glänzten, drinnen nur einige dünne Seiten mit einem Aufkleber. Alles sah so schön aus, als meine Mutter mir das zeigte. Und dann sah ich einen fetten, dunklen Stempel über einer ganzen Seite: "DULDUNG"...


Mir wurde erklärt, dass dieses dumpfe, komische Wort nicht ohne Grund so abweisend klang. Man sagte mir, wir sind hier nicht unbedingt erwünscht, wir werden geduldet. Ich verstand nicht, aber am besten begriff ich die Bedeutung, als meine Mutter mir erklärte, es sei so als ob deine entfernten Verwandten dich nach langer Zeit unerwartet besuchen, du aber eine kleine Wohnung hast und nicht teilen willst, es sich aber so gehört.

Wir waren also wie die alte, frustrierte Tante meiner Mutter, die immer unerwartet aufkreuzte und mich immer ganz fies in die Backen kniff. Ich muss nicht sagen, wie Kinder das hassen, eine Abwertung unserer Persönlichkeit, egal wie wenig sie entwickelt sein mag.



Duldung...

In der Schweiz wurde ich einige Zeit später in einer riesigen Bürohalle empfangen, in der man am Eingang an einem Automaten eine Nummer ausdrucken muss, die dann auf einem Zähler erscheint. Ich weiss noch, dass viele verschiedene Sprachen durcheinander hallten und klangen wie ein Rauschen. Einige typische Gesichter vom Balkan haben mich in der Masse identifiziert, nickten mir stumm zu, man ist schliesslich hier gleich.

Ich verlor die Übersicht über die aufgerufenen Nummern, war zu abgelenkt von diesem Gemisch aus Nationen, das irgendwie doch funktioniert. Wenn man die Nummer verpasst, zieht man eine neue, Pech gehabt und besser aufpassen. Ein freundlicher Schreibtisch in hellem Holz, vom Nachbartisch nur durch eine kleine Plastikwand getrennt. Kinderzeichnungen und Kindernamen in krakeliger Schrift mit dem obligatorisch umgekehrten N...man fühlt sich wohl. Kein Panzerglas, kein fetter Stempel, ich bin hier als Studentin, Künstlerin, kann Deutsch.

Ich bin also aufgenommen im Club, sogar die Dame auf der anderen Seite gibt mir das Gefühl, dass es genug Platz für alle gibt. Und dabei dachte ich immer, die Schweiz sei so viel kleiner als das riesige Deutschland...


Ihr rotes Oberteil strahlte, jedenfalls kam es mir damals so vor. Mein neuer Ausweis war violett, nichts Spektakuläres, eine dünne Plastikhülle...Mit der Zeit wurde mir klar, wie gross der Unterschied war. Wie gross das Herz einiger Menschen sein kann, je nachdem woher man kommt und aus welchen Beweggründen. 1993 waren wir unfreiwillig in einem fremden Land, und man wollte uns nicht. 2004 war ich aus freiem Willen gekommen, man nahm mich auf und liess mich hier leben.

Und ich bin immer noch hier, heute allerdings etwas sicherer, wenn ich solche Gebäude betrete. Irgendwie kann mich nichts Ähnliches beeindrucken, es ist Routine geworden. Und das gehört zu meiner Integration, meinen Anfängen und ersten Schritten mit der deutschen Sprache.
Jedes Mal, wenn ich für Flüchtlinge übersetzt hatte, die einen Entscheid über ihren Aufenthalt bekamen, fieberte ich mit. Manchmal ging ich nach Hause mit einem Lächeln, manchmal musste ich mich für immer von diesen Menschen verabschieden. Ein Kommen und Gehen in diesem Beruf...wie im wahren Leben.


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