Der Bericht einer Heimatlosen zum 1.August

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Bern, das neue Zuhause seit fast 5 Jahren.
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Wo alles begann: Sarajevo.

"Viele nennen das Heimweh, ich bezeichne dies als Heimatlosigkeit. Anders kann ich das befremdende Gefühl nicht ausdrücken, das einen Menschen einnimmt bis in die letzte Pore des Körpers."
Nina Nuhodzic 

Ein uraltes Sprichwort einer anonymen, weisen Person sagt: "Die ursprüngliche Heimat ist eine Mutter, die zweite eine Stiefmutter." Als ich angefragt wurde, diesen Artikel zu schreiben, musste ich erst mal schlucken. "Dann möchte ich Dir einen Text vorschlagen, den Du zum 1. August in der Schweiz schreiben könntest."- hiess es in der E-Mail von Chefredaktorin Eva Grundl. Einge Wochen später brummt mir der Schädel vor Ideen, die alle keinen Leitfaden aufweisen können, ein endloses Projekt vor dem ich mich unbewusst drücke, ich putze die Fenster, topfe meine Balkonpflanzen endlich um, erledige meine Steuererklärung.

 

Nina Nuhodzic

01:08:2009

 

Kurz gesagt, ich habe Angst vor dem Begriff "Heimat", der sich unumgänglich zum Thema "Nationalfeiertag" aufdrängt wie eine lästige Fliege. Ich drücke mich vor dem Artikel, weil ich mich selber nicht richtig mit der Materie beschäftigen kann und darf.
Seit meiner frühen Kindheit lebe ich ein Migrantenleben, beeinflusst von Faktoren wie Politik, Religion, Krieg und Flucht vor irgendetwas. Dabei leide ich an einer bekannten Krankheit, die Millionen von Menschen auf dieser Welt wie einen Virus in sich tragen. Viele nennen das Heimweh, ich bezeichne dies als Heimatlosigkeit. Anders kann ich das befremdende Gefühl nicht ausdrücken, das einen Menschen einnimmt bis in die letzte Pore des Körpers.

 

Es ist dabei interessant, dass Heimat nicht bei jedem die gleichen Gefühle auslöst. Manche haben Angst, wollen der Enge entfliehen. Das einzige was bleibt ist die Flucht in ein Land, in dem Anonymität und Diskretion zur Etikette gehören. Nach einigen Jahren in der Schweiz reise ich für eine kurze Zeit in meine alte Heimatstadt, um meine Familie und Freunde nach Jahren zu sehen.

Die euphorische Aufregung lässt mir schon Wochen vorher keine Ruhe, ich schlafe nicht, kann nicht essen und denke jede Sekunde an den Ort, an dem meine Wurzeln noch tief vergraben liegen und auf mich warten. Man sagt, dass Menschen aus unserer Region des Landes wie Unkraut sind, Du kannst es abschneiden und beseitigen, aber sie kommen später noch stärker zurück.

 

Momentan geht es mir ähnlich - ich bin sozusagen das Unkraut, dass am Zürcher Flughafen mit Rollkoffer und durchsichtigem Kulturbeutel (ohne Nagelschere - wäre ja verdächtig!) auf die Heimreise wartet. Heimat taucht aus den Wolken auf nach knapp zwei Flugstunden, unglaublich frustrierten Flugbegleiterinnen, die mir ein ebenso ernüchterndes Sandwich mit Tomatensaft auf den Plastiktisch schleudern.

Trotzdem, die Luft riecht anders, die Menschen sehen anders aus, aber das merke wahrscheinlich nur ich. Der Taxifahrer ist wie alle in Sarajevo, er will meine Lebensgeschichte in seinem klapprigen Mercedes verewigen, fragt nach dem Grund meiner Traurigkeit, die ich versuche zu verbergen. Der Anblick der Stadt, in der ich die herzlichsten, nettesten und emotionalsten Menschen dieser Welt gelassen habe, ist verändert nach einigen Jahren.

 

In dem Moment, in dem ich den dunklen Hauseingang eines kommunistischen Wohnblocks betrete, habe ich keine Angst. Diese Dunkelheit hat mich während vielen Jahren des Krieges behütet und viele Male uns und die Nachbarn wie durch ein Wunder gerettet. Der alte Luftschutzbunker ist immer noch im Keller, verlassen nach mehr als einem Jahrzehnt des "Scheinheilligen Friedens".

Im ersten Stock der Anblick der alten Fussmatte, Fragmente meiner Kindheit, von meinen Schuhen mit Berner Strassenstaub bedeckt. Nach einer Woche geht der Heimatfilm dem Ende zu, wieder ein Flughafen und die gleichen Flugbegleiterinnen, die keine Gesichter mehr registrieren. Wir sind nur Sitznummern in der Holzklasse - Menschen ohne eine richtige Heimat, die ewigen Pendler zwischen zwei Welten.

 

Zurück am Zürcher Flughafen. Ich fühle mich wie das bereits erwähnte, beseitigte Unkraut, das jetzt stärker nachwächst. Im Zug habe ich eine ruhige Stunde, um mich umzustellen auf ein anderes Lebensgefühl, fernab vom Land, in dem man trotz Misere und Armut lacht, immer jemanden hat zum Weinen und wo Freunde etwas sind, das ewig bleibt.

Und doch, etwas wie Dankbarkeit überkommt mich, ein kuschliges Gefühl, das mir zeigt: Auch hier ist deine Heimat - eine neue, fremde, sichere Heimat. So oder so ähnlich spricht Bern zu mir, wenn ich die frische Luft durch die Lungen strömen lasse.

 

Während der Zug langsam über die Brücke mit Ausblick auf das Berner Münster und die grüne Aare gleitet, empfinde ich ein ähnliches Gefühl wie vorher. Nach fast fünf Jahren spürt man Heimat über Landesgrenzen hinweg. Ich verteile diese patriotischen Gedanken auf zwei Länder, die mir beide eine Heimat geboten haben. Denn Heimat ist vielleicht auch der Ort, an dem man wirklich von Herzen willkommen ist.


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