Die schillernde Wirtin: Leben und Tod der Aussenseiterin Paula Roth

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Paula Roth vor ihrem Gasthaus Bellaluna.
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Loderndes (Hexen-)Feuer wird zu einem der roten Fäden im Film von Kuno Bont.

"Bal a l'üna"
Film von Kuno Bont nach einer Biografie von Lucette Achermann. 77 Minuten, 21. und 24. Januar Solothurner Filmtage, ab Februar im Kino. Produktion und Verleih: Filmfabrik, 9466 Sennwald SG, www.filmfabrik.ch

Rund 20 Jahre sind vergangen, seit die 1918 geborene Wirtin, Heilerin und Aussenseiterkünstlerin Paula Roth einem Raubmord zum Opfer fiel. Nun legt der Ostschweizer Filmemacher Kuno Bont mit "Bal a l'üna" ein behutsames Doku-Drama vor, das Eingang ins Programm der Solothurner Filmtage gefunden hat.

 

Jolanda Spirig

19:01:2009

 

Ein Feuer lodert, ein weisser Jeep fährt durch die Winterlandschaft, zwei Kriminalbeamte schreiten über den Kiesweg, überwinden die Absperrung und sichten Paula Roths Leiche im Eingangsbereich der Gastwirtschaft Bellaluna am Fusse des Albulapasses. "Es ist genau das passiert, was wir immer befürchtet haben", sagt ein Dorfbewohner. "Paula kann nicht auf normalem Weg ab der Welt."

Was nicht verwundert, hat doch die 70-Jährige auch kein gewöhnliches Leben geführt. Aber da sie niemandem zur Last fiel, liess man sie gewähren.

 

Der Kuhhandel

Das war nicht immer so. Als "Fräulein" darf die 22-Jährige im ausserrhodischen Rehetobel nur unter der Bedingung wirten, dass ein Mann die Landwirtschaft übernimmt. So wird sie 1941 vom Vater kurzerhand mit einem Aktivdienstler verkuppelt. Ein Kuhhandel, wie die Wirtin später zu Protokoll gibt.

Der eifersüchtige Ehemann kann es nicht leiden, wenn sich seine lebenslustige Frau mit den Gästen abgibt und setzt ihr zur Kontrolle die Schwiegermutter ins Haus. Nach dem zweiten Kind lässt sich die junge Ehefrau scheiden. Die Kinder werden dem Mann zugesprochen. Paula Roth passt nicht ins Bild der braven Ehefrau und Mutter.

Die Nachbarinnen sagen ihr nach, sie habe keine rechte Ordnung im Haus und die Kinder seien unsauber gekleidet. Auch das psychiatrische Gutachten fällt nicht zu ihren Gunsten aus. Die eigenwillige Frau sprengt den engen Rahmen, den Gesellschaft und Psychiatrie Mitte des letzten Jahrhunderts für Ehefrauen und Mütter vorgeben.

 

Das Übersinnliche

Paula Roth lässt sich nicht unterkriegen. Das Übersinnliche fasziniert sie. Ein Naturheiler führt sie in die Geheimnisse der Salben und Heilwasser ein. Bald ist sie als Hexe und Kupplerin verschrien. Obwohl sie nach einigen Zwischenstationen als Wirtin und Eigentümerin der "Bellaluna" Fuss fasst, haftet ihr der Ruf der Spinnerin bis zum Lebensende an. Sie kultiviert ihn auch selbst, nimmt kein Blatt vor den Mund, treibt ihre Spässe und unterhält ihre teils illustren Gäste am Harmonium. Den Banken traut sie nicht. Lieber versteckt sie ihre Einnahmen in Büchsen und Strümpfen, was ihr schliesslich zum Verhängnis wird.

 

Der Hexentanzplatz

Die Waldlichtung vor dem Gasthaus soll einst als Hexentanzplatz gedient haben. So durchzieht das lodernde Feuer den Film ebenso wie die Suche nach den Raubmördern und die Gerichtsverhandlung in Chur. Das Bündner Musiker-Duo Flurin Caviezel und Franco Mettler unterstreicht die stimmungsvollen Aufnahmen mit ruhigen Klängen, die wiederholt ins Schräge abgleiten. Wie damals Paula Roth.

 

Ein Filmer, der auf Tuchfühlung geht

Kuno Bont wurde 1952 in Oberriet SG geboren und lebt heute im Städtchen Werdenberg. Er ist freischaffender Filmemacher mit einer eigenen Produktionsfirma, der Tukan Film Produktion Werdenberg. Der mehrfache Kulturpreisträger hat 2008 für ein grosses Ostschweizer Freilichttheater ein erfolgreiches Stück geschrieben (Die Auswanderer), das ebenfalls eindrückliche Frauenschicksale nachzeichnete.

Seine Menschenporträts beeindrucken durch die Nähe, die Direktheit und die bis ins Detail nachgezeichnete Authentizität. So hat er, um die Einsamkeit der Bellaluna-Wirtin Paula Roth zumindest ansatzweise selber spüren zu können, in der Vorbereitung für seinen Film "Bal a l'üna" bei eisiger Kälte und Schnee während einiger Zeit im Albulatal gezeltet.

Für seinen Film «Die Rheinholzer» erhielt er 2002 den Ostschweizer Radio- und Fernsehpreis. Kuno Bont realisierte mehrere Filme (Die Stadtner, Ave Maria und Znünibrot), führte Regie in Musicals (Blues Brothers) und Theatern (Eiszeit, Das Deckelbad), verfasste Drehbücher und fertigte Bilder, Objekte und Installationen.


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