Schwarzseherin mit roter Tasche

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Das rote Täschli
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Soviel Power erlebte Martha Beéry nicht in Sachen gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Mehr zum Thema bei:
www.equalpayday.ch.

Am 6. März 2009 erhielt ich folgendes Mail: "Beschaff Dir eine rote Tasche, wenn Du noch keine hast, bei DEM Thema sehe ich rot und das schon seit Jahren. Gute Zeit und herzliche Grüsse, Regula." Darunter der Aufruf des www.equalpayday.ch mit Ziel, Sinn und Zweck der Aktion, nämlich mit dem Tragen einer roten Tasche auf das Minus (rot) in der Lohntüte von Frauen aufmerksam machen und zwar am 10. März 2009. Dieser ist das errechnete Datum von 19 % weniger Lohn, was wiederum 49 Arbeitstage ergibt.

 

Martha Beéry

15:03:2009

 

Eine Aktion ganz nach dem Geschmack unserer Zeit: witzig, farbig, modisch, einfach durchzuführen, hintergründig genug, um auf ein längst fälliges Versprechen aufmerksam zu machen. Also ging ich, 67-jährige Frau in den Keller, holte mir das kecke, rote Täschli und freute mich auf den 10. März. Darauf, die jetzt berufstätigen Frauen mit dem Tragen einer roten Tasche als Symbol für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu unterstützen, der Forderung nach Gleichberechtigung und Gleichstellung noch einmal Nachdruck zu verleihen.

Also kein sich nicht mehr als Emanze an den Pranger gestellt sehen, keine Demos mehr in Bern, keinen Frauenstreiktag, nur ein rotes Täschli umhängen, bequem, toll, problemlos durchführbar.

 

Etwas verwunderte mich zwar: ich hatte den Aufruf nur von Regula erhalten, einer Privatperson. Dies obschon ich auf dem Verteiler verschiedener Frauenorganisationen bin. Dadurch etwas verunsichert schickte ich das Mail an 11 Frauen und Frauenorganisationen weiter mit der Bemerkung, sicher hätten sie das Mail schon von irgendwoher erhalten, geantwortet haben bis jetzt zwei. Am 10. März fuhr ich also gut ausgerüstet mit rotem Täschli und aufmerksamen Augen Richtung St. Gallen, gespannt wo und wie viele Frauen auftauchen, für die Gleichstellung noch immer ein Thema ist.

 

Drei Stunden später fuhr ich nach Hause zurück. Erstaunt und enttäuscht. Keine roten Taschen, die ich der Aktion hätte zuordnen können. Oder soll ich zum Trost wenigstens annehmen, dass die zwei alten Männer, die mit roten Einkaufstaschen unterwegs waren, dies in Sachen gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit taten?

 

Vielleicht war ich zur falschen Zeit am falschen Ort. Hielt mich deswegen an die Tagesschau, nichts, 10 vor 10 auch nichts, auch meine Schwester, die in Bern und Zürich war an dem Tag sah keine Frauen mit roten Taschen, oder müsste ein roter Riemen an einem Rucksack vielleicht?......

Gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit für Mann und Frau scheinen kein die Allgemeinheit interessierendes Thema zu sein. Es entstand wohl kein sichtbarer Druck, ein Gesetz endlich überall und für alle anzuwenden.

Und dies in einer Zeit in der längst allen klar geworden sein sollte, dass Frauen ihr Geld nicht von Testosteron gesteuert anlegen. Dass sie also die Finanzkrise nicht verursacht haben, aber die ersten sein werden, die darunter zu leiden haben.

 

In meinem Umfeld schien die Möglichkeit vertan, mit einer kleinen Geste auf ein bitter ernstes Problem aufmerksam zu machen. Ich habe in der Sozialarbeit erlebt, wie überlastet Mütter sein können, wenn sie neben Erwerbsarbeit noch Kinder zu betreuen haben. Viele davon arbeiten wohl die erwähnten 49 Arbeitstage immer noch ohne Lohn und haben weder Zeit noch Nerven  oder vielleicht auch nicht den Mut sich für gerechte Entlöhnung einzusetzen.

 

Ich habe am Gericht erlebt, was es für geschiedene Frauen bedeuten kann, ohne entsprechende Erfahrung wieder berufstätig zu werden, einen Job zu erhalten und „so nebenbei“ auch die Kinder weiter grosszuziehen. Ich liege wohl mit meinen Überlegungen nicht falsch, wenn ich die Frauen, die nicht gerecht entlöhnt werden, eher unter den eh schon Benachteiligten sehe. Noch immer kann ich es nicht verstehen: lag es an der Info, interessiert es die Betroffenen nicht? Kennen die Nicht-Betroffenen die Zusammenhänge nicht?

 

Vielleicht hat die die Frauenbewegung deren Früchte wir heute ernten - Frauenstimm- und Wahlrecht, Gleichstellungsgesetz, Neues Eherecht, das immerhin die Hälfte des gemeinsam erwirtschafteten Gutes der Frau zuspricht (nicht nur ein Drittel wie vorher) und vieles Weitere mehr - eine Midlifecrisis oder eine Depression?

 

Mindestens hätte ich von den Frauen, die die Früchte der Frauenbewegung bereits ernten erwartet, dass sie ein Zeichen setzen. Zum Beispiel von den gewählten Politikerinnen, von denen, die automatisch den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhalten.

Soll ich wohl das rote Täschli wieder in den Keller bringen, habe ich die Aktion völlig falsch verstanden, will niemand meine Solidarität?

Auch eine Anfrage bei meinen Kolleginnen, alles politisch engagierte Frauen hilft mir nicht weiter: „ Ja schon gehört, gelesen, aber keine Zeit gehabt mich darum zu kümmern“, (dabei hätte ein Mausklick genügt um die Info weiterzuleiten), „Anderes war wichtiger“, „Ja man sollte das differenzierter sehen“, „Nein keine Ahnung“? „Was war das, sprichst Du vom 8. März dem Frauentag“? „Ja, ich habe es gelesen, aber nicht verstanden“ - wohl noch nie etwas davon gehört, dass man sich vertiefter im Internet umsehen kann.

Oder müssten wir eventuell zu anderen Mitteln greifen? Zum Beispiel beim Bezahlen von Waren und Dienstleistungen, Ferien und Zugreisen, Benzin und Arztkosten einen Frauenrabatt von ca. 20% abziehen? Das würde vielleicht mehr Wirkung zeigen - nach dem Motto, wenn es ans eigene Portemonnaie geht, versteht man keinen Spass mehr.

 

Mit grossem Schrecken allerdings wurde mir immer stärker bewusst: die grosse Fähigkeit der Frauen für andere Einfühlungsvermögen zu empfinden und entsprechend zu handeln scheint immer mehr zu schwinden. Noch ein Minus. Dieses liesse sich dann allerdings nur mit einem roten Kopf symbolisieren ... und da sehe ich schwarz.


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