Fasten in der Krisenzeit?

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Ina Praetorius
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"Gott dazwischen - Eine unfertige Theologie", die neuste Publikation der Theologin Ina Praetorius.

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Im Grunde wissen wir es schon länger: wir leben über unsere Verhältnisse. Wir? Natürlich nicht alle gleich. Die da oben mehr, ich weniger.

 

Ina Praetorius

05:02:2009

 

Dass Hedge Fonds unverantwortlich auf Zukunft spekulieren, hat uns Mascha Madörin schon in den neunziger Jahren erklärt. Wer es wissen wollte, konnte es wissen. Und ich als postpatriarchale Theologin weiss auch schon lange, dass sich der Finanzmarkt nur deshalb von der Realwirtschaft loslösen konnte, weil die Mehrheit immer noch bereit ist, das Höhere Männliche anzubeten.

 

Auch wenn es sich nicht mehr „Herrgott“, sondern „Wallstreet“ oder „Universität St. Gallen“ nennt.
All dem Besserwissen zum Trotz: Demonstrationen für eine realistischere Daseinsform habe ich in den letzten Jahren nicht organisiert.

Wahrscheinlich hätte ich auch einen Bonus, wäre er denn für mich und nicht für die da oben bestimmt gewesen, nicht abgelehnt.
Die Sonntagszeitung, die mir allwöchentlich zu verstehen gab, die ultimative Kultboutique soundso sei nicht nur ein Must, sondern fast so etwas wie der Sinn meines Lebens, habe ich einfach stillschweigend abbestellt. Vor allem zuhause, mit Familie und FreundInnen, beklage ich mich seit Jahren über all den Nonsens.

 

Aber dass ich jeden Morgen warm duschen kann, dass die Züge immer schneller und komfortabler werden, dass ich Fernseher und Internet und CD-Player und dazu immerzu funktionierenden Strom habe, dass ich mit dem Billigflieger in ein paar Stunden an der Sonne sein oder wahlweise in der erdgasbeheizten Stube sitzenbleiben kann, das habe auch ich gern hingenommen. Als sei es selbstverständlich.

Es ist nicht selbstverständlich. Letztes Jahr in Kinshasa habe ich es am eigenen Leib erfahren: Fliessendes Wasser gab es nur nachts, von zwölf bis zwei so ungefähr. Der Strom kam, wann er oder wer auch immer wollte, abends meistens nicht, also unterhielten wir uns im Dunkeln und ohne Fernseher. Als Begleitmusik diente der Lärm von der Strasse. Öffentlicher Verkehr? Fehlanzeige.
Man geht zu Fuss oder zwängt sich in den privaten Minibus. - Überlebt habe ich trotzdem, und sogar ziemlich genussvoll. Interessanterweise erzählen mir das die meisten Leute, die hin und wieder die Wohlstandsnormalität verlassen: irgendwie fühlt es sich auch ohne recht gut an. So gut, dass man am liebsten gleich wieder hinwill. Raus aus dem hochentwickelten Hamsterrad.

 

Am 26. Februar 2009 beginnt wieder einmal die christliche Fastenzeit. Sie ist kein Diätprogramm, sondern eine Möglichkeit, sich neu zur Welt in Beziehung zu setzen, mit Fragen wie diesen: was brauche ich wirklich? Was ist überflüssig? Welche Abhängigkeit macht mir Beschwerde? Was stresst mich, wenn ich es, obwohl ich es nicht brauche, trotzdem will? Oder wollen zu müssen meine? Weil in der Sonntagszeitung steht, es sei ein Must have?


Fasten bedeutet heute für die meisten Leute nicht mehr, bestimmte Verzichtleistungen zu erbringen, die im Römischen Generalkalender oder sonst einem offiziellen kirchlichen Dokument vorgeschrieben sind. Ob ich auf Fleisch, Alkohol, Fernsehen, Geschwätz, Shopping, Computerspiele, Schokolade, Kaffee, Nachrichten, Reisen oder alles zusammen verzichte, hängt von der persönlichen Existenzlandschaft ab. Und von der Frage, welcher zeitweilige Verzicht mich am besten in die Gefilde der Nachdenklichkeit befördert.
Es geht weniger darum, ein Programm zu absolvieren. (Obwohl es durchaus sinnvoll sein kann, sich selbst wieder einmal zu beweisen, dass es auch ohne dies oder jenes geht.) Im Grunde steht, wie bei vielen anderen der traditionellen religiösen Übungen, die Frage im Mittelpunkt, wozu ich eigentlich in der Welt bin. Um Geld zu verdienen? Um gross rauszukommen? Um es irgendwie bis zum Tod zu schaffen? Um mich aufzuopfern? Oder wozu?


Jeder Verzicht bedeutet eine Unterbrechung scheinbar selbstverständlicher Abläufe. Und wenn das Selbstverständliche einmal an einer Stelle unterbrochen ist, dann breitet sich das Sinnentdecken auch auf andere Lebensbereiche aus. Bis hin zur Frage, ob es eigentlich bleiben muss, wie es bisher war. Persönlich, und gesellschaftlich.
Womit ich wieder bei der Frage wäre, die vielleicht die Fastenzeit des Jahres 2009 besonders prägen könnte: Brauchen wir all das, was uns selbstverständlich geworden ist, überhaupt? In welchem Verhältnis stehe ich selbst zu der eingeübten Normalität, die durch die Wirtschaftskrise in Frage gestellt wird, und die tatsächlich, wie man anderswo feststellen kann, keineswegs selbstverständlich ist?

Persönlich verantwortetes Fasten in der Krisenzeit kann Sinn machen. Weil es mich als unverwechselbare Person in die politische Kardinalfrage einbezieht, um die es sinnvollerweise in Krisenzeiten geht: was ist für ein gutes Zusammenleben wirklich nötig? Und was können wir getrost ziehen lassen, zusammen mit all den Milliarden, die es eigentlich nie gegeben hat und die daher jetzt mit gutem Grund in der virtuellen Versenkung verschwinden?


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