"Instinktiv merke ich, wann etwas rassistisch ist"

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Lange beobachtet und nicht schnell angenommen, so eine Erfahrung mit Rassismus.
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Braune Hautfarbe kann ein Diskriminierungsanlass sein.

Rassismus-Bericht

Die Zahl der 2010 gemeldeten Fälle von Rassismus ist gegenüber dem Vorjahr von 162 auf 178 gestiegen. Die 2010 erfassten Beratungen zu Rassismus betrafen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Schweizerinnen und Schweizer sowie Migranten und Migrantinnen.

Fälle, bei denen anti-schwarzer Rassismus oder Muslimfeindlichkeit ausschlaggebend waren, haben gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Beschuldigten befanden sich oft in sozioökonomischen Machtpositionen und nutzten diese Stellung gegenüber den Betroffenen direkt oder indirekt aus.

Besonders stark waren die Betroffenen rassistischen Handlungen in der Öffentlichkeit, in der Arbeitswelt oder in Kontakten mit der Polizei ausgesetzt. Häufig trat Rassismus in Form von abwertenden, verletzenden oder beleidigenden verbalen Äusserungen auf.

Es wird davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer von nicht erfassten rassistischen Vorfällen deutlich höher ist als die gemeldeten Ereignisse. Der Bericht 2010 ist Teil des vom Verein humanrights.ch und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) getragenen Projekts "Beratungsnetz für Rassismusopfer".

Wo beginnt Rassismus? Wie zeigt er sich im Alltag? Wie wappnet man sich gegen Diskriminierung? Zwei Frauen erzählen. Beide sind dunkler Hautfarbe, beide haben einen Schweizer Pass, und beide haben einen Mechanismus entwickelt, um sich zu schützen.

 

Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch

15:12:2011

 

"Ich bin selber ein Mischling, in meiner Familie gibt es alle Hautfarben, das ist normal für mich. In meinem Land war ich akzeptiert", sagt Josefina Schnell-Ortiz. Die 50-Jährige stammt aus der Dominikanischen Republik und hat in St. Petersburg Psychologie und Russisch studiert. Dort hat sie ihren späteren Mann kennengelernt. 1988 sind die Beiden in die Schweiz gezogen.

"Damals kamen viele Flüchtlinge aus Sri Lanka, später aus dem Balkan. Die Schweizer bekamen wohl Angst vor dem Fremden und der grossen Zahl von Ausländern. Ich hatte damals Bedenken, wie man in einem Land leben kann, in dem es so viel Fremdenfeindlichkeit gibt", sagt Josefina Schnell-Ortiz, die im Kanton Bern Spanisch und Russisch unterrichtet.

Sie sehe nicht in jedem unhöflichen Verhalten ihr gegenüber einen rassistischen Hintergrund. "Ich nehme nicht alles persönlich und gegen mich gerichtet", sagt die Doppelbürgerin.

 

Reaktionen auf "fremdes" Aussehen

Isobel Allen wurde1964 in Schottland als Tochter einer Schweizerin und eines Jamaicaners geboren. 1985 kam sie in die Schweiz. "Hier hatte ich im Vergleich zu Schottland meine Ruhe. "

In der 3-Millionen-Stadt Glasgow wurde ich oft als 'black bastard' beschimpft. Allerdings bekam ich auch in der Schweiz immer wieder zu spüren, dass ich anders aussehe."

Etwa bei der Wohnungssuche. Wenn sie sich telefonisch in fliessendem Berndeutsch auf ein Inserat meldete und bei der Wohnungsbesichtigung an der Türe klingelte, war die Überraschung gross. "Die Vorstellung stimmte nicht mit meinem Aussehen überein. Man hatte eine andere Person erwartet."

Nie habe sie, sagt Isobel Allen, eine Wohnung erhalten, ohne Beziehungen spielen zu lassen. "Ich kann mich auf meinen Instinkt verlassen. Ich merke, ob ich eine Wohnung oder einen Job aus rassistischen Gründen nicht erhalte. Ich kenne das Gefühl seit meiner Kindheit."

 

Ein Stück weit Einstellungssache

Auch Josefina Schnell-Ortiz weiss, dass es rassistische Tendenzen und Leute gibt, die andere nach ihrem Aussehen beurteilen. "Ich fühle mich aber nicht als Opfer und kann nicht sagen, dass ich aufgrund meiner Hautfarbe generell anders behandelt werde."

Ein Stück weit sei es auch Einstellungssache: "Meine Ausstrahlung liegt nicht in meiner Hautfarbe. Ich behandle andere Menschen mit Respekt und erwarte das Gleiche von ihnen, wer auch immer das ist."

Es brauche ein gewisses Selbstvertrauen, um als Migrantin in dieser Gesellschaft leben zu können. "Man wird lange beobachtet und nicht sofort angenommen." Sie sei aber nicht irgendeine Ausländerin, sondern Schweizerin, mit Familie und Kindern. Ich bin hier zu Hause und nehme niemandem etwas weg."

Isobel Allen ist ausgebildete Tanzgymnastiklehrerin und Krankenpflegerin. Die Mutter eines 12-jährigen Sohnes arbeitet in der spitalexternen Pflege und betreut viele ältere Menschen.

"Bei meiner Arbeit werde ich aufgrund meiner Hautfarbe nicht abwertend behandelt. Klar sind meine Kunden manchmal überrascht und neugierig und fragen, woher ich komme." Das sei aber nicht rassistisch gemeint. "Kürzlich sagte mir eine Patientin: 'Sie sind aber schön braungebrannt.' Sie merkte nicht, dass ich immer braun bin."

 

Stellung nehmen und sich wehren

Isobel Allen weiss, dass sie wegen ihres Äusseren kategorisiert wird. "Von Grenz- und Zollbeamten werde ich fast immer kontrolliert. Das ist normal. Aber ich kann mich nicht dauernd mit diesem Thema beschäftigen. Früher war das Fremdfühlen dominanter. Ich bin älter geworden und verhalte mich heute vermutlich auch anders."

Wenn etwas vorfalle, zum Beispiel eine andere Person respektlos oder ungerecht behandelt werde, müsse sie etwas sagen. "Damit die Leute merken, wie sie sich verhalten." Mit der Zeit habe sie gelernt, sich zu schützen und zu wehren, sagt Isobel Allen.

So habe sie einmal nach der Rückkehr aus den Ferien auf dem Balkon Wäsche aufgehängt, als eine Nachbarin sie anschrie, das gezieme sich nicht in der Schweiz, sie solle nach Hause gehen. "Ich bin eben in mein Land zurückgekehrt und hier zu Hause, sagte ich. Ich war so wütend. Schliesslich arbeite ich hier und bezahle Steuern wie andere auch. "

 

Menschliches Phänomen

Für Josefina Schnell-Ortiz gibt es Diskriminierungen und Ausgrenzungen auf der ganzen Welt, sei das weil man schwarz oder weiss oder eine Frau ist, sei das wegen der Religion oder weil man eine andere Meinung vertritt.

"Die Schweiz ist nicht mehr oder weniger rassistisch als andere Länder. Die Angst vor dem Unbekannten, dem Fremden ist ein menschliches Phänomen." Auch sie hat schon Situationen erlebt, "wo es nach Diskriminierung aussah. Aber ich erlaube nicht, dass es eskaliert und wehre mich."

In Erinnerung geblieben ist ihr ein Vorfall auf einer Reise im Zug: Eine Frau wollte sich dort hinsetzen, wo Josefina Schnell-Ortiz ihre Tasche liegen hatte. "Anstatt mich anzusprechen, tippte die Frau mit dem Finger auf meine Schulter. Ich sagte ihr, sie könne mich ansprechen, aber mich bitte nicht berühren."

Aus solchen Vorkommnissen mache sie keine Riesensache, ihr Leben werde dadurch nicht erschüttert. "Was soll ich machen, wenn es an Manieren mangelt? Ich kann die Leute nicht erziehen. Aber ich versuche, solche Konflikte zu umgehen."


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