Abschied poetisch

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Erika Kronabitter.
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Das Cover von "einen herzschlag nur bist du entfernt".

Erika Kronabitter:
einen herzschlag nur
bist du entfernt

Lyrik, 113 Seiten
Edition Art Science, Wien
St. Wolfgang 2010
ISBN 978-3-902157-74-4.

Quelle: kultur-online.net

Eine handliche, kleinformatige Lyriksammlung, vorgelegt von der Vorarlberger Autorin Erika Kronabitter. «einen herzschlag nur bist du entfernt» – so der Titel, der sogleich einiges verrät. Dass nämlich alles klein geschrieben wird und dass die Texte viel mit Gefühl und Gefühlen zu tun haben. «als wir gemeinsam mutter und ich/und wie sie es genoss mit ihrem kind/andernmals im wiener tröpferlbad/und ich die ich immer daneben neben/dem erzählen daneben die erinnerung/umfängt mich wie uns damals das wasser/unwiederbringlich».

 

Klaus Ebner

09:11:2010

 

Erinnerungen. Nostalgie, möchte man fast sagen, denn eine gewisse Schwermut ist den Versen eigen. Der Band erschien in der St. Wolfganger Edition Art Science im Rahmen der Reihe Lyrik der Gegenwart. Es ist dieselbe Buchreihe, die den jährlich stattfindenden Feldkircher Lyrikpreis dokumentiert, der ja ebenfalls von Erika Kronabitter betreut wird.

Abschiede sind das Motto des Buches, Abschiede von Verstorbenen, Abschiede von Freunden und Abschiede, die noch nicht stattgefunden haben, jedoch eines Tages stattfinden werden, weil letztendlich alles ein Ende hat. «ein roter mantel an der bushaltestelle/nicht dein roter mantel/eine gelbe bluse/nicht deine bluse/die runden hüften/nicht deine hüften/die dunklen haare/nicht dein dunkles haar» heißt es in einem der neun Gedichte aus dem «requiem für eine mutter». Erinnerungen an die Mutter: die Wiederholung von Eindrücken, von Wörtern, von Phrasen, unbeirrbares Erzeugen von Eindringlichkeit. Speziell jene Gedichte, die von Trauer sprechen, bedienen sich dieses Stilelements: «deine träume nicht mehr/deine sehnsucht nicht mehr/deine reisen nicht mehr/dein wien nicht mehr».

Und dann bekommt der Leser Gedankenblitze vorgesetzt, kurze Aussagen, ähnlich einem raschen Sprechrhythmus, mit Anakoluthen und stets neuem Ansetzen der Stimme: «jetzt kleiner die sommer/sprossen flüchtige berührungen/verglühen abwesend der blick/auf fremde haut unwidersprochen/mein herz keine bange keine bange».

Manche Gedichte sind einer bestimmten Person gewidmet. Dem Stiefvater beispielsweise. Und dem leiblichen Vater. Der Mutter und dem Ehemann. Verstorbenen und noch lebenden Schriftstellerkollegen. Und der Gedanke an den bereits erlebten oder noch zukünftigen Abschied schwebt über jedem einzelnen der Texte.
In einem Friederike Mayröcker gewidmeten Gedicht heißt es etwa: «irgendwann siehst du den letzten sonnen/untergang aber es kann sein dass du/noch viele morgen aufwachst». Der Zeilensprung zwischen den ersten beiden der genannten Verse scheint sich an ein typisches Stilmittel der angesprochenen Dichterin anzulehnen. An einer anderen Stelle heißt es: «kurz vor dem zubettgehen zitterblick/ganz in der nähe der kuckuck/jeder kuckucksruf ein lebensjahr».

Zwischen den Einzelgedichten findet sich eine Handvoll Zyklen, die großteils bloß aus lediglich zwei oder drei Texten bestehen, die zwar alle den gleichen Titel tragen, aber, quasi im Untertitel, auch nummeriert sind. Das Ende des Zyklus zu wissen heute beginnt lautet: «(...) so viel hast du versäumt/noch nicht gesehen erlebt/trag dich von nun an/immer in mir». Inmitten der vielen Abschiede sucht die Autorin schließlich nach Trost: «wer will schon vom ende/sprechen von diesem verdammten/ende ganz am schluss/bin ganz tränenmeer».
Für einen Wimpernschlag keimt Hoffnung auf: «wir haben bis jetzt noch alles geschafft/wie sehr wir uns selbst die fährte legten/jetzt der punkt der punkt vor dem nichts/auf den punkt gebrachtes/leben ein ganzes leben/gelebt».

Aber vor der Einsicht des Endgültigen, Unabwendbaren vermengt sich jeder Trost mit einer gewissen Bitterkeit: «unerbittlich/werden wir alle von der diskette gelöscht/ausnahmslos/ausnahmslos/das ist der ganze trost».

Die Gedichte kehren zurück zu neuen Abschieden und zur Erinnerung an längst Vergangenes. «ein geruch nach/nach jahren ein molekül/aufgefangen verfangen im/gehirn aufgeplatztes partikel/erinnerungsduft». Diese Anfangszeilen tragen den Titel der duft. Die beiden letzten Verse nehmen den olfaktorischen Gedanken noch einmal auf und führen ihn zu Ende: «spielen wir mutter und vater/die kindheit die trauer der duft».

Zum Ausklang schrieb Erika Kronabitter ein Gedicht, das sie ihrem Mann gewidmet hat. «am strand sitzen wir und/und schweigen und hören beim schweigen/uns zu und sitzen/und schweigen» heißt es da; ein sehr feinfühliger Beginn, der, wegen des Strandes, sogar ein wenig Urlaubsstimmung aufkommen lässt. In leichter Stimmung geht es weiter: «und die wellen sprechen/und es spricht der wind/und es spricht der sand».
Alles rundherum spricht, während die beiden Liebenden dieses Sprechen als ihr eigenes betrachten und still lauschen, denn «wir sitzen am strand und/schweigen schweigend hören wir/zu dem schweigen». Indes geht es in diesem Buch um Abschiede, und ein Schatten von Trauer fällt, vorwegnehmend, auch auf dieses Gedicht, das mit den Zeilen schließt: «und eines tages wird nur noch einer/von uns sitzen/hier oder dort und schweigen».


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