"Die Ehe ist heute keine Lebensversicherung mehr für die Frauen."
Chiara Simoneschi Cortesi
Die christlichdemokratische Tessiner Nationalrätin Chiara Simoneschi Cortesi (61) präsidierte 10 Jahre lang die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF). Soeben ist ihr Mandat abgelaufen. Im Interview mit swissinfo zieht sie eine Bilanz ihrer Amtszeit und fordert Frauen zu beruflicher Eigenständigkeit auf. Viel sei erreicht worden, aber viel bleibe zu tun.
Pressedienst
23:01:2008
Chiara Simoneschi Cortesi: Ich bin - ehrlich gesagt - sehr stolz, dass wir nicht mehr alleine sind. Es gibt heute tatsächlich sehr viele Institutionen, die sich mit Gleichstellungsfragen und deren Umsetzung beschäftigen. Aber es braucht die EKF trotzdem noch. Dies hat auch der Bund eingesehen, der diese Kommission eigentlich verkleinern und Mittel streichen wollte. Ein solches Gremium ist wichtig, weil es unabhängig ist und die Zivilgesellschaft repräsentiert.
C.S.C.: Die grössten Erfolge waren sicherlich die Einführung der Mutterschaftsversicherung, das neue Bundesgesetz über die Familienzulagen und die Anstossfinazierung für ausserfamiliäre Kinderbetreuung.
Auch die 11. AHV-Revision will ich erwähnen sowie die Offizialisierung von Gewaltdelikten in Ehe und Partnerschaft. Wir haben diese Neuerungen immer schon sehr früh unterstützt und eine aktive Informationspolitik betrieben.
C.S.C.: Das ist ein Problem. Man hat meines Erachtens zu wenig gemacht, um die interessierten Organisationen in den Kantonen zu informieren und zu schulen, wie Projekte vorbereitet werden. Es handelt sich ja häufig um Vereine mit Freiwilligen - keine Profis.
C.S.C.: Im Nationalrat haben wir den Frauenanteil stetig steigern können, im Ständerat ging er bei den jüngsten Wahlen im Vergleich zu 2003 leicht zurück. Von einer paritätischen Zusammensetzung sind wir noch weit entfernt.
Zum Glück haben wir nun im Bundesrat mit der Bundeskanzlerin eine perfekte Parität. Aber es bleibt viel zu tun, namentlich in der ausserfamiliären Kinderbetreuung, um die Ziele der Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen.
C.S.C.: Das wäre eine Katastrophe. Denn heute ist es mehr denn je notwendig, dass beide Ehepartner arbeiten und sich beide um Kindererziehung kümmern. Gerade auch wegen der hohen Scheidungsraten.
Man muss Frauen klar machen, dass die Ehe keine Lebensversicherung mehr ist. Sie können leicht in die Armutsfalle geraten. Deshalb müssen Frauen in jedem Moment autonom sein. Aber Frauen mit Kindern können nur arbeiten, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt ist.
C.S.C.: Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Frauen nach einer Trennung beziehungsweise Scheidung eher mit Armut zu kämpfen haben.
Wenn sie wegen Familienverpflichtungen nicht berufstätig waren, ist der Wiedereinstieg in die Berufswelt sehr schwierig.
C.S.C.: Das ist doch Quatsch und reine Ideologie. Denken sie nur an das Modell in meinem Heimatkanton Tessin. Alle Kinder gehen mit drei Jahren in die Vorschule.
Diese Art der Frühsozialisierung ist wichtig für die Chancengleichheit und die Integration. Die Wahrheit ist umgekehrt: Je mehr Kinder einzig in der Familie aufwachsen, desto grösser werden ihre Schwierigkeiten sein.
C.S.C.: Ich konnte leider nicht arbeiten gehen, obwohl ich eine Stelle als Lehrerin hatte. Ich hatte zwei kleine Kinder im Alter von einem und drei Jahren. Und ich hatte niemand, der mir die Kinder hüten konnte.
Daher kenne ich die Situation nur zu gut aus eigener Erfahrung. Inzwischen hat sich die Lage schon wesentlich verbessert. Es gibt Tagesmütter, aber auch Kinderkrippen, selbst in Universitäten und Fachhochschulen.
C.S.C.: Eigentlich wollte ich schon 2003 die Präsidentschaft aufgeben. Doch damals gab es keine geeignete Nachfolgerin. Tatsächlich ist dies eine lange Zeit, zumal ich schon seit 1992 Mitglied der Kommission bin.
Ich gehe ruhigen Gewissens, aber natürlich tut es mir auch etwas leid. Viel ist erreicht worden, aber viel bleibt zu tun.
Quelle: Radio SRI/ swissinfo-Interview: Gerhard Lob