Fürsorgerische Zwangsmassnahmen, dunkles Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte: Informationen zum Runden Tisch und zur Soforthilfe

14:07:2014

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Bundesrätin Simonetta Sommaruga
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Etiennette Verrey, Präsidentin EKF

Die EKF hat sich in den vergangenen Jahren für die betroffenen Menschen engagiert, nachdem Frauen, die ehemals in der Strafanstalt Hindelbank administrativ versorgt wurden, mit der Bitte um Unterstützung an die Kommission gelangten.
Weitere Informationen dazu unter
www.frauenkommission.ch.

Um dieses düstere Kapitel der jüngeren Geschichte aufzuarbeiten, hat Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD, letztes Jahr einen Runden Tisch ins Leben gerufen. Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF ist zusammen mit Bund, Kantonen, Landeskirchen, Bauernverband und anderen verantwortlichen Organisationen sowie Betroffenen am Runden Tisch vertreten.

 

Eidg. Kommission für Frauenfragen EKF Bern

 

Bis 1981 wurden in der Schweiz Tausende von Menschen Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Betroffen waren junge Frauen und Männer, die zur «Nacherziehung» oder zur «Arbeitserziehung» in geschlossene Institutionen eingewiesen wurden (administrative Versorgungen). In zahlreichen Fällen erfolgte sogar eine Einweisung in eine Strafanstalt, einzig weil die betroffene Person durch ihr Verhalten – gemessen an den damaligen Moral- und Rollenvorstellungen – auffiel oder soziale Missbilligung bewirkte. Zu den Opfern zählen auch Personen, die zwangssterilisiert, zwangskastriert wurden und Kinder bzw. Eltern, die von Zwangsadoptionen betroffen waren. Betroffen waren namentlich auch Kinder, welche bei Bauern verdingt oder in Heimen und Pflegefamilien fremdplatziert wurden. Ein Grossteil der Versorgungen beruhte auf administrativen oder fürsorgerischen Massnahmen, die von kantonalen oder kommunalen Instanzen (insbesondere Vormundschafts-, Jugendstraf- verfolgungs- und Armenbehörden) verhängt wurden. Diese Praxis wurde erst 1981 mit dem Inkrafttreten neuer Gesetzesbestimmungen verunmöglicht.      


Soforthilfe für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen

Um bedürftigen Opfern von Zwangsmassnahmen rasche Unterstützung bieten zu können, wurde auf Anregung des Runden Tisches ein Soforthilfefonds eingerichtet. Dieser wird aus freiwilligen Beiträgen der öffentlichen Hand und Privater geäufnet. Organisationen sind eingeladen, sich mit einem Beitrag an der Finanzierung des Fonds zu beteiligen.      

Die Verwaltung des Fonds wird von der Glückskette übernommen. Diese hat dafür ein eigenes Konto eingerichtet:
  • Glückskette, 1211 Genf – 8 Spezialfonds
  • PC 14-444422-2
  • IBAN CH96 0900 0000 1444 4422 2        
Opfer, die sich in einer finanziellen Notlage befinden, können ein Gesuch um finanzielle Unterstützung stellen. Vorgesehen sind einmalige Beiträge in der Grössenordnung von 4000 bis 12000 Franken. Die kantonalen Opferhilfestellen – die als Anlaufstellen für die Betroffenen von fürsorgerischen Zwangs- massnahmen fungieren – sind über das Vorgehen informiert und stehen für Auskünfte zur Verfügung.      

Akteneinsicht

Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen haben ein Recht auf Akteneinsicht. Die Schweizerische Archivdirektorinnen- und Archivdirektorenkonferenz ADK hat zuhanden von Behörden und Betroffenen Empfehlungen zur Aktensicherung und Akteneinsicht veröffentlicht. Sie sind unter
www.fuersorgerischezwangsmassnahmen.ch/de/aktuelles.html.
abrufbar.      

Bericht und Massnahmenvorschläge des Runden Tisches

Am 1. Juli 2014 hat der Runde Tisch nach einem Jahr Tätigkeit seinen Bericht und seine Massnahmenvorschläge zuhanden der politischen Behörden verabschiedet. Er schlägt namentlich finanzielle Leistungen zugunsten der Opfer in Form eines Solidaritätsfonds auf gesetzlicher Grundlage vor. Er empfiehlt auch die Beratung und Betreuung von Betroffenen, eine umfassende Aktensicherung und Akteneinsicht sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Schweizer Sozialgeschichte. Für den Runden Tisch ist klar, dass Staat und Gesellschaft in der Schuld der Opfer stehen. Die entsprechende Medienmitteilung und den Bericht finden Sie unter
www.fuersorgerischezwangsmassnahmen.ch/de/aktuelles.html.


Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen

Am  1. August 2014 tritt das Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen (vgl. BBl 2014 2853) in Kraft. Die EKF hat sich in den vergangenen Jahren für die betroffenen Menschen engagiert, nachdem Frauen, die ehemals in der Strafanstalt Hindelbank administrativ versorgt wurden, mit der Bitte um Unterstützung an die Kommission gelangten. Weitere Informationen dazu unter www.frauenkommission.ch.

Volksinitiative «Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangs- massnahmen (Wiedergutmachungsinitiative)»

Am 31. März 2014 wurde in Bern die «Wiedergutmachungsinitiative» lanciert. Sie wird von Politikerinnen und Politikern aus den meisten grossen Parteien sowie von Betroffenen und ihren Organisationen getragen. Informationen dazu unter www.wiedergutmachung.ch   


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