Aufbruch in die Apokalypse

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Ilse Schneider-Lengyel mit Hans Werner Richter und Walter Schmieding von der "Gruppe 47".
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In Konstanz fand sich die Spur der Schriftstellerin, Ethnografin und Fotografin 1969 wieder.

Die kleine Spanne Spiel
Eine Spurensuche mit Astrid Keller, Brigitte Krauss, Julia Schwartz, Jürg Kessler. Dramaturg. Begleitung: Dr. Peter Braun.

Am 10. Juni liest Dr. Peter Braun aus den Werken und gibt Einblicke in das Leben von Ilse Schneider-Lengyel, 19.30 Uhr Gewölbekeller, Kulturzentrum am Münster, Konstanz. Am 12. und am 13. Juni wird "Die kleine Spanne Spiel" zu sehen sein, im Kulturzentrum am Münster, Konstanz, BildungsTURM um jeweils 20.30 Uhr. 
Informationen bei: www.konstanz.de.  

Das grenzüberschreitende Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem
Bodenseefestival, der Uni Konstanz, der Kulturstiftung des Kantons Thurgau,
der Stadt Kreuzlingen und der Stadt Konstanz.

"Die kleine Spanne Spiel", titelt das multimediale Projekt um die Konstanzer Regisseurin Marie-Luise Hinterberger. Die Installation ist Spurensuche zu Leben und Wirken der Schriftstellerin, der Ethnologin und Fotografin Ilse Schneider-Lengyel. Am 10. Januar 1903 in München geboren und am 3. Dezember 1972 verstorben, war sie eine jener Frauen, die den Aufbruch in unbekanntes Terrain unternommen hatten.

 

Eva Grundl

05:06:2008

 

"Das ist mein Haus, das ist mein Haus", soll sie gerufen haben, als sie verwirrt in Konstanz an Türen geklopft und an fremden Häusern geklingelt hatte. Die Pforten ihres eigenen Hauses am Bannwaldsee bei Füssen hatte Ilse Schneider-Lengyel exakt 22 Jahre zuvor weit geöffnet gehalten, um auch noch im Morgengrauen mit dem Boot hinaus zu rudern und Fisch für ihre Gäste zu fangen: Dort im Allgäu, jenem Landstrich, der ebenso schön wie rauh ist, fanden sich am 6. und 7. September 1947 jene SchriftstellerInnen ein, die sich den Neuaufbruch der Literatur auf die Fahnen geschrieben hatten.

Die surrealistische Lyrik ("Der Gott der Schläge") ihrer unkonventionellen, freiheitsliebenden Gastgeberin stiess indes von Anfang an auf Zweifel bei der späteren "Gruppe 47". Schneider-Lengyel, die von sich selbst behauptete, ihre Urgroßmutter stamme aus Samoa, hatte noch in den 1950er Jahren unter anderen in Kontakt mit André Malraux und Paul Celan gestanden, zog sich zunehmend zurück - dies nicht nur aus dem literarischen Umfeld: Verarmt, vereinsamt, geschieden, hatten sich ihre Hoffnungen, ihre Visionen einer heraufbrechenden neuen Zeit, in welcher Raum für das Unbewusste, das Spielerische, für Träume sein würde, völlig zerschlagen.
Irgendwann verloren sich ihre Spuren, muss sie mit einem ominösen Schweizer umher gezogen sein, um 1969 in der früheren Bischofsstadt aufgegriffen und in das Psychiatrie-Zentrum Reichenau gebracht zu werden, wo sie verstarb.

Angeregt durch die Arbeiten von Literaturdozent Peter Braun (Universität Konstanz) ist die Idee zum Projekt entstanden, so Regisseurin Marie-Luise Hinterberger. "Realisiert haben wir dieses als eine Reise durch mehrere Räume, weil Ilse Schneider-Lengyel selbst in verschiedenen Sphären aktiv war: Sie hat über so Vieles geschrieben, wie über Theater, Kunstgeschichte und Tanz. Sie hat hervorragend fotografiert, ist weit und viel gereist. Im Exil in Paris war sie beispielsweise in Berührung mit dem Surrealismus gekommen; durch ihren Mann, den jüdisch-ungarischen Architekten Lengyel, stand sie in Kontakt mit dem Bauhaus."


Bilder, Masken, Textfetzen sind Symbole und Metaphern der Vielschichtigkeit des künstlerischen Wirkens jener Frau, die "ihrer Zeit weit voraus war", so Marie-Luise Hinterberger. Die Regisseurin hat sich von diesem Konvolut inspirieren lassen und ist nicht zuletzt beeindruckt von den geistigen Kräften der "Frau der Bilder": "Ilse Schneider-Lengyel hat sich wie viele ihrer Zeitgenossinnen intensiv beschäftigt mit fremden Kulturen. Ihre Auseinandersetzung mit den so genannten 'Naturvölkern' war Quelle ihrer alternativen Schöpfungsmythen und ihrer fantasievollen Gegenentwürfe zur kriegszerstörten Welt."
Geblieben, so Hinterberger, sei das Schreiben: "Am Ende des Schaffens und Lebens von Ilse Schneider-Lengyel standen wortgewaltige, expressionistische Gesänge."


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