Ein fairer Start ins Leben

Bild
Eine Hausbesucherin (links) beim wöchentlichen Besuch bei "ihrer" Familie im Projekt "schritt:weise". (a:primo)
Bild
Wichtig sind auch regelmässige Gruppentreffen mit den Familien im Projekt "schritt:weise". (a:primo)

Der Verein a:primo mit Sitz in Winterthur und sein deutsches Pendent Opstapje wurden mit dem mit 200'000 Franken dotierten Klaus J. Jacobs Best Practice Award 2010 ausgezeichnet.

Ihr ursprünglich aus den Niederlanden stammendes Spiel- und Förderkonzept für Kleinkinder aus sozial benachteiligten Familien wird inzwischen in über 50 deutschen und 18 Schweizer Städten und Orten angewendet.

Mit dem Preis zeichnete die Jacobs Foundation zum zweiten Mal nach 2009 herausragende Leistungen in der Kinder- und Jugendentwicklung aus.

Die Auszeichnung sei sicher hilfreich, sagt a:primo-Co-Geschäftsführerin Erika Dähler Meyer. Die entscheidenden Stellen und Behörden könnten sensibilisiert und darauf aufmerksam gemacht werden, wie wichtig eine frühe Förderung der Kleinkinder sei und was für einen gesellschaftlichen Nutzen diese bringen könne.

Bildungschancen in der Schweiz werden stark durch die soziale Herkunft bestimmt. Das Projekt "schritt:weise" unterstützt an 18 Standorten die frühe Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien. swissinfo.ch hat sich in Olten umgesehen.

 

Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch

10:05:2011

 

Ayse Kaya klingelt an der Tür des Hauses, in dem die tamilische Familie Calistus wohnt. Durch die Gegensprechanlage sind freudige Kinderstimmen zu hören. Mit dem Lift geht es in den 5. Stock. Der 3-jährige Edin steht schon im Treppenhaus und begrüsst uns. Seine 8-jährige Schwester Emmie wartet mit Mutter und Vater unter der Wohnungstür. Edin ist gespannt, was ihm Ayse Kaya diesmal mitgebracht hat.

Die junge Frau türkischer Herkunft, selbst Mutter von zwei kleinen Kindern, ist eine der beiden Hausbesucherinnen, die für das Projekt "schritt:weise" in Olten arbeiten.

Mit dabei ist diesmal auch Projekt-Koordinatorin Rosmarie Schär von der Stiftung Arkadis. Die diplomierte Heilpädagogin ist verantwortlich für die Umsetzung des Programms mit den Familien sowie Schulung und Betreuung der Hausbesucherinnen, die selber Mütter aus der Zielgruppe des Projekts sind.

 

Vertrauensverhältnis im Zentrum

Ayse Kaya setzt sich im Wohnzimmer der Familie Calistus mit dem kleinen Edin auf den Boden. Diesmal hat sie Puzzlespiele mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden mitgebracht. Edin "arbeitet" konzentriert, seine Schwester schaut amüsiert zu. Wenn der Kleine nicht mehr weiter weiss, helfen ihm Ayse Kaya oder Mutter und Vater. Das sei richtig so, sagt Rosmarie Schär gegenüber siwssinfo.ch, denn die Eltern würden in diesem Programm einbezogen.

Das gute Vertrauensverhältnis zwischen der Familie Calistus und der jungen Hausbesucherin ist spürbar. Stolz erzählen die Eltern, dass Edin, der jetzt auch in eine Spielgruppe geht, Fortschritte in Verhalten und Konzentration mache. Sie betonen, die Vernetzung mit anderen tamilischen Familien mit Kindern entwickle sich gut.

Ein tamilischer Freund habe sie ins Projekt "schritt:weise" gebracht, sagt der Vater. Als die Hausbesucherin zum ersten Mal gekommen sei, habe es zuerst ein gegenseitiges "Herantasten" gegeben. Aber Probleme mit der "fremden Frau", die nicht Tamilin, sondern eben türkischer Herkunft ist, habe es nicht gegeben. "Im Gegenteil", betont Herr Calistus: "Edin, aber auch Emmie, freuen sich immer riesig auf den wöchentlichen Hausbesuch von Ayse Kaya, die mit uns Deutsch spricht."

 

Projekt aus den Niederlanden

Das Konzept von "schritt:weise" basiert auf dem in den Niederlanden erprobten und in Deutschland weiterentwickelten Programm "Opstapje". Der in Winterthur ansässige gemeinnützige Verein a:primo hat es an die schweizerischen Verhältnisse angepasst und bietet es Trägerschaften in Städten und Gemeinden an.

Beim Präventionsprogramm "schritt:weise" geht es darum, dass Laienhelferinnen wöchentliche Hausbesuche bei bildungsfernen, sozial benachteiligten Familien mit Kindern zwischen1 ½ und 4 Jahren machen. Sie bringen ein Buch oder ein Spiel mit und leiten zum Umgang damit an.

Die Hausbesucherinnen werden von Heil- oder Sozialpädagoginnen, welche die Projekte koordinieren, geschult und betreut. Zu den Besuchen kommen später regelmässige Gruppentreffen mit den Familien.

 

Auch Romandie und Tessin im Auge

"schritt:weise"-Projekte gibt es laut Erika Dähler Meyer, Co-Geschäftsführerin von a:primo, vorerst in der Deutschschweiz, in Klein- und Grossstädten. 12 Trägerschaften setzen an 18 Standorten das Programm um, wie zum Beispiel in Olten, wo 15 Familien daran beteiligt sind.

"Ab 2012 will a:primo auch in der Westschweiz und im Tessin aktiv werden. Eine grosse Arbeit, denn diese Programme müssen nicht nur übersetzt, sondern auch kulturell angepasst werden", sagt Dähler Meyer gegenüber swissinfo.ch.

 

Gleiche Herkunft wirkt sich positiv aus

Der Hausbesuch bei Familie Calistus, die uns vorher noch mit Süssigkeiten verwöhnt hat, geht zu Ende. Die Abschiedsszene ist sehr herzlich, und Edin will wissen, wann Ayse Kaya ihn wieder besucht.

Weiter geht es nach Trimbach bei Olten. Dort wohnt Deria Yildiz, eine junge alleinerziehende Mutter, zusammen mit ihrem 3-jährigen Sohn Efetan. Auch er erwartet ungeduldig den Besuch. Zuerst zeigt er uns seine Spielsachen, bevor er mit Ayse Kaya zusammen das Büchlein anschaut, das sie ihm diesmal mitgebracht hat.

Die Gemeinde Trimbach hat Deria Yildiz mit Efetan bei "schritt:weise" angemeldet. Am Anfang sei die Vorstellung schwierig gewesen, dass sich nun eine "fremde Frau" in ihr Leben einmische und vielleicht nur Deutsch spreche, sagt Deria Yildiz gegenüber swissinfo.ch. "Doch dann habe ich gesehen, dass die Hausbesucherin auch türkischer Herkunft ist."

 

Positive Projekt-Evaluation

In der Region Olten ist der erste Durchgang von "schritt:weise" mit den 15 Familien im März abgeschlossen worden. "Wir konnten viel bewirken", sagt Rosmarie Schär. "Natürlich muss man lernen, auch kleine Schritte vorwärts zu gehen, aber die Bilanz ist sehr positiv." So sieht es auch Ayse Kaya. "Und auch mir persönlich bringt diese Arbeit, bei der ich einiges lerne, sehr viel", sagt sie gegenüber swsissinfo.ch.

Der Verein a:primo hat das Projekt durch das Marie Meierhofer Institut für das Kind in Zürich an acht Standorten evaluieren lassen. "Es hat sich gezeigt, dass das Programm positive Auswirkungen hat", sagt Erika Dähler Meyer. "Die Eltern-Kind-Interaktion wird gestärkt, die soziale Vernetzung der Familien gelingt und somit auch die soziale Integration. Die Kinder entwickeln sich altersgemäss und weisen bei Schulbeginn deshalb auch keine Defizite mehr auf."


zurück            Diesen Artikel versenden            Mein Kommentar zu diesem Artikel
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch