Geld ist nicht alles oder: Das ist doch nicht Arbeit, das macht doch Spaß!

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Schriftstellerin und Drehbuchautorin Selma Mahlknecht
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Ist es wirklich das Geld, das die Welt regiert?

Der Text erschien mit anderem Titel und Ende zu Mitte Juni bei: www.derstandard.at.

Es ist wirklich wahr: Es gibt Arbeit, die ist einfach unbezahlbar. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum es manche gar nicht erst versuchen. Das Bezahlen.

 

Eine Polemik von Selma Mahlknecht

27:06:2008

 

Von den Japanern ist es ja schon seit längerem bekannt: Ohne Arbeit fühlen sie sich wertlos. So kommt es, dass sie nach ihrer Pensionierung schon mal freiwillig weiterhin an ihrem bisherigen Arbeitsplatz oder auch anderswo kleine Jobs verrichten, z. B. ein bisschen putzen oder als Museumsführer Touristen durch die Ausstellung begleiten und sich also nach wie vor wertvoll fühlen dürfen. Und das ist auch gut so: Sie sind zufrieden, der Arbeitgeber ist zufrieden, alle profitieren (bis auf jene, die vorher gegen Bezahlung geputzt und durchs Museum geführt haben). Wir Westler haben diese Haltung immer ein wenig belächelt.

Nach der Pensionierung noch immer Tag für Tag pünktlich in den Betrieb gehen, und das auch noch für Gotteslohn oder den feuchten Händedruck eines überbezahlten Managers? Fiele uns nicht ein. Wir haben besseres mit unserer Zeit anzufangen, wir kümmern uns endlich mal um die Familie oder den Garten oder engagieren uns im Verein. Das ist zwar auch unbezahlte Arbeit, aber das ist doch ganz etwas anderes, oder?

 

Wie aber steht es damit: Für die Fußball-Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und in Österreich wurden tausende Helfer rekrutiert – unbezahlt. Meine Freundin Anna ist eine von ihnen. Auf meine Frage, warum um Himmels Willen sie bei so etwas mitmache, antwortete sie achselzuckend: „Wir bekommen die Unterkunft gestellt, kriegen was zu essen, können gratis mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und wenn wir Glück haben, fällt etwas von den VIP-Geschenken, die nicht ganz makellos sind, an uns ab.“ Und in der Tat: Bisher kann Anna nun schon zwei VIP-Toilettentaschen, die leider kleine Kratzer haben, von der Euro mit nach Hause nehmen. Sofort war ich beruhigt. Dann ist ja alles gut.

Immerhin kann man auf diese Weise hautnah an der unvergleichlichen Atmosphäre bei der Euro teilhaben, vielleicht erhascht man gar einen Blick auf die Spieler, und beim stundenlangen Verteilen von Sponsorenpaketen an Prominente kommt man mal ganz nahe an die hohen Tiere ran. Und das erhebende Gefühl, in einer eingeschworenen blaugekleideten Gemeinschaft von Idealisten dabeizusein, kann sowieso mit nichts aufgewogen werden. Ist das nicht schön? Endlich mal Leute, für die Arbeit keine Plage ist, die man nur des schnöden Mammons wegen auf sich nimmt.

Wenn man aber die Augen aufmacht, bemerkt man, dass solche Menschen allerorten anzutreffen sind. Von den Frauen, die zu Hause bleiben, sich um die Kinder kümmern und den Haushalt in Schwung halten, fange ich hier gar nicht an. Genetische Programme laufen nun mal so, Diskussion überflüssig.

Aber auch sonst: Wie viele investieren Stunden um Stunden ihrer Lebenszeit, um etwa Homepages zu betreuen, engagierte Artikel für Online-Magazine zu schreiben, soziale Projekte voranzutreiben, sich kulturell einzubringen, ohne dafür jemals auch nur einen roten Heller zu sehen?

Freilich, irgendwann am Ende des Jahres, wenn man launig bei einem Abendessen zusammensitzt und der Verein sich selbst feiert, heimst man Blumensträuße ein, Ehrennadeln und einen zweiminütigen Applaus, und dann weiß man: Der Einsatz hat sich gelohnt, und auch die Knochenbrecher-Tretmühle von Zweitjob, den man annehmen musste, um halt irgendwie noch die Miete bezahlen zu können, ist leichter wegzustecken. Das nämlich ist bei uns etabliert: Wenn man was verdienen will, dann muss es schon auch wehtun. Wo kämen wir hin, wenn alle bei ihrer mit echtem Geld bezahlten Arbeit auch noch Spaß hätten? Spaß-Arbeit darf nicht bezahlt werden.

Die tut man ja gern, mithin ist sie eine Art Freizeitbeschäftigung, die das Leben bereichert. Das gilt vor allem für künstlerische Arbeit. Wer wochen- gar monatelang wie besessen an einem Projekt feilt, tut das, weil ihn der Dämon reitet und er gar nicht anders kann. Unfassbar, dass so jemand am Ende womöglich die Stirn hat, für das Ergebnis seines Wahnes auch noch Geld verlangen zu wollen. Wo bleibt der hehre Idealismus? Der Mensch lebt nicht von Brot allein! Reicht denn nicht die Befriedigung, der Gesellschaft ein Werk geschenkt zu haben, das diese ohnehin nicht wollte? Und überhaupt: Geld ist nicht alles – ein Lieblingsspruch all jener, die sich um Geld keine Sorgen mehr zu machen brauchen, weil es sich in ihren Hedgefonds und Börsenspekulationen von selbst vermehrt.


In immer mehr Berufssparten kann man die Tendenz feststellen: Für uns zu arbeiten ist ein Privileg. Deswegen macht man das, wenn man denn überhaupt eine Stelle ergattert, in den ersten Monaten, Jahren einfach mal so. Da darf der Jungjournalist schon mal ein Gratis-Artikelchen schreiben. Die Freude und der Stolz, seinen Namen in einer Zeitung gedruckt zu sehen, sind ihm Lohn genug. Angehende Theater- oder Filmleute sind ohnehin bereit, für gute Referenzen und große Namen in ihrem Lebenslauf am Hungertuch zu nagen.

Ewiger Lohn im Himmel ist ihnen gewiss. Und andererseits muss man auch die Arbeitgeber verstehen: Die Zeiten werden härter. Im unerbittlichen Wettkampf um möglichst kostengünstige Produktion ist jedes Mittel recht. Der Konsument ist nicht mehr bereit, hohe Preise für Qualitätsware auszugeben. Wie denn auch. Bei seiner Gratis-Arbeit verdient er ja nichts. Da muss man eben beim allgemeinen Lohndumping und Ausbeuten von Lebenszeit und Arbeitkraft mitmachen. Wir nicken verständnisvoll. Die Euro, um bei diesem Beispiel zu bleiben, verschlingt Millionen, man bedenke nur, was die Sponsoren allein in die Werbung investiert haben.

Da bleibt für die freiwilligen Helfer einfach nichts mehr. Dafür tragen diese auch nicht das Risiko mit, falls die erwarteten Gewinne nicht ganz so fett ausfallen sollten. So hat jeder sein Teil. Für die Zukunft schlage ich vor: Die Konzerne errichten auf vom Staat bereitgestellten Gebiet riesige Unterkunftscontainer und Mensen, in denen ihre Mitarbeit schlafen und Essen können. Diese arbeiten dafür umsonst oder genauer, um der Ehre Willen, bei der guten Sache mitwirken zu dürfen (es wird nicht schwierig sein, sich eine solche gute Sache auszudenken). Dann bleibt endlich denen mehr, die das ganze Risiko tragen müssen. Die einzige Frage, die ich mir stelle, ist, wie man Cristiano Ronaldo und Co. beibringen soll, dass sie bei der nächsten EM unbezahlt mitkicken werden. Fußballspielen macht doch solchen Spaß!


Anmerkung: Die Autorin dieses Artikels erhielt für das Verfassen desselben: nichts.


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