Patentierter Lebenslauf - (k)eine Satire!

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Genmanipulierte Kichererbsen. Bilder: Selma Mahlknecht.
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Patentierte Mandarinenpflänzchen.

"Wer du bist, was aus dir wird - es ist eine Frage des Geldes. Im Jahr 2139 versteckt keiner mehr diese Wahrheit hinter schöngefärbten Floskeln von Leistung, Tüchtigkeit, Glück oder Verdienst."
Selma Mahlknecht.

Wer du bist, was aus dir wird - es ist eine Frage des Geldes. Im Jahr 2139 versteckt keiner mehr diese Wahrheit hinter schöngefärbten Floskeln von Leistung, Tüchtigkeit, Glück oder Verdienst. Im Jahr 2139 ist alles ein bisschen ehrlicher geworden, durchsichtiger und überprüfbarer. Kein Deckmantel mehr und keine Heimlichtuerei, alles geschieht vor aller Augen und am Ende wird abgerechnet.

 

Selma Mahlknecht

27:03:2008

 

Felix C124 ist einer von den Glücklichen. Seine Eltern sind wohlhabend. Sie haben die Nutzungsrechte auf nicht weniger als 6242 Patente erworben, was einem sehr guten Standard entspricht. Demzufolge haben sie das Recht auf immerhin fünf verschiedene Beischlafstellungen (Patent Kamasutra XF2, XF4a, R27, PW3c und das gängige MSS1 - Felix C124s Vater denkt sogar über den Erwerb von Kamasutra SN43 nach), im bescheidenen Balkongärtchen stehen sieben unterschiedliche Pflanzen (freilich muss die Gartenklubmitgliedschaft jährlich aufgefrischt werden), und der allergenfreie Kanarienvogel Hansi Standard Medium darf drei Varianten seines Gesangs erschallen lassen.

 

Für die Geburt des Sohnes hatten die Eltern vorsorglich nicht nur die Rechte auf Nutzung der Gynorelax-Geburtswanne, sondern auch die Option auf einen Adam-Steiner-Kaiserschnitt erworben. Die beliebtere Kevin-Dorian-Sektion war zu dem Zeitpunkt bereits unerschwinglich geworden. Der Name Felix C124 war freilich ein Kompromiss - einer von vielen, wenn man auf den Pegelstand seines Kontos achten muss. Immerhin hat es für einen Namen der mittleren Preisklasse gereicht, und auch ein gewisser Spiel- und Raumnutzungsstandard ist gegeben. Felix C124 weiß das zu schätzen. Täglich erlebt er auf dem Spielplatz, wie die mittellosen Mütter der Konsonantenkinder diese mit unartikuliertem Gebrabbel von den teuren Spielgeräten herunterzerren müssen, bevor der Patentwächter sie mit einer Ordnungsstrafe abmahnt. Zwar hat die Regierung im Jahr 2134 die Patente auf Konsonantennamen aufgehoben, wodurch verarmte Familien ihre Kinder nun kostenlos Wztlk und Pschnvm nennen können, wenn aber beim sorglosen Ausrufens dieses Namens derselbe nach "Wezetelk" oder "Paschnivam" klingt, können die entsprechenden Patentinhaber auf Entschädigung klagen.

 

Felix C124 bedauert die Konsonantenkinder aber keineswegs. Er hat gelernt, dass sie und ihre Eltern sich ihr Schicksal nur selbst zuzuschreiben haben und im Grunde schmarotzerische Faulpelze sind. Freilich, es hat eine Zeit gegeben, in der Menschen ihre Kinder regel- und schrankenlos "Hanns", "Yolanda" oder "Bluemoon Summerrain Bertha" nennen konnten, ohne eine Kreativitätsabgabe an Sony oder Unilever zahlen zu müssen. Es waren gestohlene Namen gewesen, auch das hat Felix C124 gelernt. Heute, im Jahr 2139, geht es gerechter zu. Niemand wagt es mehr, das Eigentum anderer einfach zu verwenden, ohne seine Taxe zu entrichten. Nun hat alles seine Ordnung, und nur die Chaoten der Konsonantenunterschicht sorgen noch für kakophonische Missstimmungen.

 

Schon wie sie aussehen, ist eine Beleidigung des werbegeschärften Geschmacks. Da sie sich die meisten Haarfarben nicht leisten können, läuft die Mehrheit dieser Kinder mit kahlen Köpfen umher. Im Winter, wenn die Kälte es gebietet, färben die Eltern ihren Kindern die Haare von Akazienhonigblond oder Erlenrindenbraun (beide Patente von L'Oreal) auf Zement TT, dem billigsten Farbton, um. Neben der ästhetischen Verschandelung aber bergen die Konsonantenkinder auch eine echte Gefahr für die Gesellschaft. Krankheiten werden nämlich grundsätzlich nicht gemeldet. Wenn Felix C124 also wieder einmal mit Standard-2000-Schnupfenfieber von Unipharm im Bett liegt und die Eltern beim Konzern die Lizenz zum Medikamentenerwerb beantragen, schauen sie hasserfüllt auf den kleinen Xvfglg, der draußen mit triefender Nase und flackernden Augen durch die Straßen wankt.

 

Sie sind ein Ärgernis, diese Aussteiger, die partout nicht den Wert einer Sache anerkennen wollen. Es ist bekannt, dass sie Wasser stehlen und heimlich die Nestlé-Leitungen anzapfen. Viele sind schon ins Gefängnis gewandert, doch im Grunde kommt man ihnen nicht bei. Da sie völlig mittellos sind, kann man ihnen auch nichts nehmen außer dem Leben - und das ist nicht viel wert. Darum ist das Einzige, wozu man sie noch einigermaßen gebrauchen kann, der Krieg. Von denen entflammt sowieso immer mal wieder einer, wenn etwa die Chinesen oder Puertoricaner wieder einmal wichtige Patente raubkopiert haben oder afrikanische Staaten sich über bestehende Saatgut-Verzinsungs-Abkommen hinwegsetzen.
Felix C124 interessiert das alles nicht. Er hat Größeres vor. Letzthin gab die Lehrerin als Schularbeit das Schema-F13-Thema "Mein Berufswunsch" (Copyright by Springer&Burda).

 

Felix C124 wusste natürlich genau, was er werden wollte: Patentinhaber. Das allerdings könnte schwer werden; mittlerweile ist nicht mehr viel zu patentieren geblieben, seit sich ein japanischer Herbizid-Hersteller das Patent auf kaum verpestete und zudem mit Jod angereicherte Atemluft (früher bekannt unter dem Namen Meeresbrise, einem Begriff, der mittlerweile im Besitz von Joop! Parfums ist) gesichert hat. Dennoch stehen Felix C124s Chancen am Arbeitsmarkt gut, ein Berufszweig nämlich ist am stetigen Expandieren: jener der Patentkontrolleure nämlich. Daher schaut der Junge voller Zuversicht in die Zukunft, die noch mehr von Fairness und Transparenz geprägt sein wird.
Wenn nämlich erst einmal jeder Dritte im Dienste der Patentkonzerne steht, wird es aufmüpfigen Konsonantlern und sogenannten Künstlern nicht mehr gelingen, durch die Maschen der Gesetze zu schlüpfen, und dann werden auch sie lernen, dass man im Leben nichts geschenkt bekommt, nicht einmal die eigene DNS.

Anmerkung: Der vorliegende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung der F.A. Brockhaus AG, die Rechte auf die verwendeten Wörter hält der Dudenverlag.


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