Wir sind Literaturpapst oder: Das Abendland ist nicht zu retten

Bild
Selma Mahlknechs neustes literarisches Werk, die Erzählung "Im Kokon".
Bild
Marcel Reich-Ranicki

Selma Mahlknecht, Jg. 1979, Schriftstellerin und Dehbuchautorin, lebt in Meran und ist zurzeit Stadtschreiberin in Kitzbühel.
Selma Mahlknechts Buch "Im Kokon" -> bestellen

Wir haben es immer schon gewusst. Der Irak-Krieg war eine blöde Idee, an den Börsen regiert das Böse und das Fernsehen wird auch immer schlechter. Jetzt sagt es sogar schon Marcel Reich-Ranicki.

 

Selma Mahlknecht

24:10:2008

 

Das mit dem Fernsehen zumindest. Nichts als Schwachsinn auf allen Sendern, und wenn Arte nicht ab und zu mal ein bisschen anspruchsvolles Programm bieten würde, könnten wir Oberschichtler den Unterschichts-Verdummungs-Kasten gar nicht mehr aushalten. Nur gut, dass MRR sich zur rechten Zeit eingeschaltet hat. Wie wäre denn das sonst weitergegangen? Schreibt doch auch Elke Heidenreich in der FAZ, wie unerträglich alles war. Beim Fernsehpreis und überhaupt.

 

Offenbar ist es ihr an jenem Abend wie Schuppen von den Augen gefallen: Fernsehen, das ist ein künstlich in die Länge gezogenes Schaulaufen talentfreier Möchtegern-Superstars. Und das kann sie, eine Intellektuelle, sich nicht bieten lassen. Wie käme sie dazu. Am Ende hätte sie noch einschreiten müssen. Wo Intellektuelle doch sonst immer so zurückhaltend sind. Aber jetzt können sie sich gefahrlos hinter dem grossen Alten verschanzen und ihre Fäuste ballen. Gib's ihnen, Marcel. Wir stehen alle hinter dir.

 

Denn dass er Recht hat, wird höchstens von RTL-Programmmachern und verkappten ProSieben-Konsumenten bestritten. Die zählen also nicht. Und in der Tat: Unwillkürlich bekommt man den Eindruck, das Fernsehen habe sich seit Samstag eklatant verschlechtert. Nur noch Deutschland sucht den Superstar auf allen Frequenzen, durchmischt von schnöder Werbung und schaler Comedy. Kein Wunder, dass viele Schwarzseher schon seit Jahren den Fernsehpreis ablehnen.

 

Da setzt man sich des Abends doch lieber mit einem guten Buch vors Kaminfeuer. Wenn es nur nicht so schwierig geworden wäre, gute Bücher zu finden. Neuerdings wimmelt es dort von hämorrhoidalen Schmutzphantasien, die einem Marquis de Sade die Tränen in die Augen getrieben hätten, und spätestens, seit Daniel Küblböck unter die Autobiographen gegangen ist, hat Stefan Zweig wohl nicht mehr aufgehört, im Grab zu rotieren.
Die Flucht in die Musik ist ebenfalls zwecklos. "Ich will ficken" schallt es einem allerorten und in allen Sprachen entgegen, während auf der anderen Seite des Spektrums die Kastelruther Spatzen und André Rieu dem hehren Erbe von Bach und Beethoven den Rest geben. Wieder einmal ist also das Abendland am Ende.

 

Und da tritt der Papst auf den Plan, noch dazu der Literaturpapst, und sagt uns gnadenlos, was Sache ist. Als ob wir es nicht schon immer gewusst hätten. Da kann man nur noch wortgewaltig "Bravo" rufen und wieder einmal seinem Unmut über die jämmerliche Medienlandschaft Luft machen. Und wenn es dann zur unabwendbaren Frage nach den Schuldigen an der Misere kommt, ist die Antwort wie immer gleich bei der Hand: Schuld sind natürlich die anderen. Die vom Fernsehen. Und vor allem die von der Quote. Die Quote ist ohnehin das alles vernichtende Virus.

 

Je höher sie ist, desto niedriger das Niveau des Programms. Ist sie umgekehrt niedrig, so spricht das zwar meist für das Programm, ist jedoch gleichzeitig dessen Tod. Dennoch ist es noch nicht gelungen, die Quote zu entmachten, ganz im Gegenteil. In ihrem Namen wird weiter konsequent an der Verflachung des Angebots gearbeitet usw. usw. Und schon sind wir wieder mitten im Reigen der Fernsehkritik-Klischees, die seit Jahren larmoyant heruntergenudelt werden, ohne dass sich Nennenswertes ändern würde. Und vielleicht ist das auch gar nicht nötig.

 

Gewiss ist es unbestreitbar, dass in den Medien einiges im Argen liegt, aber pauschal über "das Fernsehen" (ebenso wie über "das Internet" oder "die Presse") den Stab zu brechen, ist einer ernsthaften Debatte unwürdig. In einem Medium, das sich nach allen erdenklichen Richtungen entwickelt hat und entsprechend sowohl in seiner untersten Schublade als auch in seinen anspruchsvollsten Ausformungen ein noch nie dagewesenes (je nachdem Un)Niveau erreicht hat, greift jedes Gesamturteil zu kurz.

 

Noch nie hatte das Publikum eine dermassen breitgefächerte Auswahl, noch nie gab es so viele spezialisierte Sender, die ganz bestimmte Interessen (Sport, Theater, Kinderprogramm usw.) bedienen. Aufwändige Spielfilmproduktionen, penibel recherchierte Dokumentarfilme, fundierte Kultursendungen gehören ebenso zum Bild wie Atze Schröder und die Super-Nanny.
Dass die einen allgegenwärtiger und penetranter sind als die anderen, mag stimmen, aber zumindest ist ihnen das Feld keineswegs gänzlich überlassen, wie häufig suggeriert wird. Und seien wir ehrlich: Wer hat sich nach einem langen Tag noch nie nach seichter Ablenkung gesehnt, sich noch nie mit Freunden das Länderspiel, mit der Freundin eine kitschtriefende Schnulze angesehen? Ist es tatsächlich die Aufgabe des Fernsehens, immer anspruchsvoll zu sein? Liegt es nicht vielmehr am Zuschauer selbst, sich sein Programm zu gestalten?

 

Die Medien sind keineswegs das unentrinnbare Verhängnis, als das sie dargestellt werden. Keiner ist ihnen hilflos ausgeliefert, und es soll sogar schon Menschen gegeben haben, die Dieter Bohlen entkommen sind - ich mutmasse sogar, dass meine Grossmutter, die doch sehr viel Zeit vor dem Fernseher verbringt, gar nicht weiss, wer das ist.
Wir haben die Wahl, und die reimt sich nicht zufällig auf Qual. Denn freilich ist die Last der Eigenverantwortung eine nicht geringe. Sie anzuerkennen, würde bedeuten, zugeben zu müssen, dass es gar nicht Sat1 oder SuperRTL sind, die unsere Kinder verkommen lassen oder aus Jugendlichen gewaltbereite Schläger mit einem Schandmaul machen. Sondern wir selbst.

 

Da ist es doch wesentlich einfacher, weiterhin in gehässigen Rundumschlägen alles schlecht zu machen, was aus dem Bildschirm quillt. Vielleicht kriegt man dann auch ein Interview in "Kulturzeit" oder eine halbe Seite in der FAZ. Und wenn man es ganz geschickt anstellt, hat man vielleicht bald eine eigene Sendung im ZDF, irgendwo zwischen Leute heute und Johannes B. Kerner. Es ist schon wahr: Das Abendland ist nicht zu retten. Also rette sich, wer kann.


zurück            Diesen Artikel versenden            Mein Kommentar zu diesem Artikel
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch