Willkommen bei StGall, - der Spitzengeschichte oder die Kunst Frauenarbeit unsichtbar zu machen

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Elisa Bolliger: Frauenarbeit wurde unsichtbar gemacht.
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Martha Beéry-Artho ruft auf zum frauen- und geschlechterspezifischen Blick auf Ausstellungen und Museen.

Interessengemeinschaft
Frau und Museum

Der Bericht von Frau Elisa Bolliger zeigt eindrücklich, wie in der Ausstellung stgall ein wichtiger Teil der Geschichte, der Realität, der Leistungen und der Einflussnahme von Frauen unsichtbar bleibt. Tipp: Betrachten doch auch Sie Ausstellungen mit der Frage nach dem was zu oder über Frauen gezeigt wird. Sie werden staunen….

Unter dem Namen“ Interessengemeinschaft Frau und Museum“ besteht ein Verein mit Sitz in St. Gallen. Der Verein schafft eine Plattform, um die oft unsichtbar gebliebene Geschichte, Realität, die Leistungen und die Einflussnahme der Frauen in Gesellschaft sowie das Verhältnis der Geschlechter zueinander aufzuzeigen. Sie will dadurch sowohl Ausstellungsmacher/Innen und Vermittler/Innen als auch Museumsbesucher/Innen für frauen- und geschlechterspezifische Themen und Sichtweisen sensibilisieren.

 

Martha Beéry-Artho
Säntisstrasse 1
9034 Eggersriet
m.beery@sunrise.ch

 

Kontakt zur Autorin des Beitrags:
elisa.bolliger@
frauenkultur.ch

www.frauenkultur.ch

 

www.stgall.ch bis 29. Januar 2012.

 

Die aktuelle Ausstellung im Textilmuseum St. Gallen verspricht‚ anhand der weltweit bedeutendsten Sammlungen …..’ in einer in dieser Art erstmaligen, umfassenden Übersicht die facettenreiche, einzigartige Geschichte der handgefertigten Spitzen, die zum Kulturgut von St.Gallen zählen’, darzustellen, so der Ausstellungsflyer.

 

Elisa Bolliger

05:01:2012

 

 Schon als junges Mädchen wurde ich von meiner Patentante in St. Gallen, Alma Frey-Hubeli, auf handgefertigte Spitzen aufmerksam gemacht und von ihrer Begeisterung für diese künstlerisch grossartigen Fadenarbeiten angesteckt. Auf Kopfkissenüberzügen, Leintüchern, Tischwäsche, und anderen Textilien aus Leinen applizierte meine Patin mit Leidenschaft und grosser Liebe alte hand-gefertige Spitzen, welche sie als fundierte Kennerin sammelte, wusch, sorgfältig stärkte und bügelte.

 

Für meine Aussteuer liess sie verschiedene Stickerinnen im Appenzellerland die typisch in blau gearbeiteten Hohlsäume in unsere Leintücher und Kopfkissen-bezüge sticken. Ich durfte sie damals auf diese Auftragsgänge begleiten. Wie staunte ich als junge Frau aus der Stadt über die Kunst der Appenzellerinnen und über ihre oft bescheidenen Einrichtungen an Stickrahmen und Lichtquellen in den niederen Stuben der abgelegenen Bauernhäuser!

 

Als ich von obiger Ausstellung erfuhr, freute ich mich riesig auf die angekündigte umfassende Übersicht dieser Schätze. Die abgedunkelten Räume des Museums ermöglichen ein meditatives Eintauchen in diese Zauberwelt der handgefertigten Spitzen. In den Vitrinen im ersten Saal des zweiten Stockes zeigen insbesondere Klosterarbeiten prächtige Kunstwerke an Altartüchern und an Spitzen für die Gewänder von Bischöfen und Kardinälen.

 

Im nächsten und übernächsten Raum dominieren die Gewänder von Adligen und Fürstinnen, darunter als Höhepunkt ein Bildnis Kaiser Napoleons, allesamt mit kostbaren Spitzen verziert. Im vierten Saal mit dem noblen Frauengewand in Mauve, zentral im Raum ausgestellt, überkam mich zum ersten Mal ein Gefühl von Überdruss gegenüber dem inszenierten Prunk all der WürdenträgerInnen.

 

Anfangs konnte ich diese Empfindungen nicht richtig deuten, aber in Anbetracht der übrigen Ausstellung wurde mir immer deutlicher bewusst, dass innerhalb all der prächtigen Exponate die Schöpferinnen dieser Kostbarkeiten unsichtbar bleiben. Ausser dem Gemälde van Delfts ‚Die Spitzenklöpplerin’ ist weder in Bildern noch im Text des Ausstellungsführers auch nur die winzigste Prise Respekt und Anerkennung für die kreativen, künstlerisch begabten, begeisterten und fleissigen Urheberinnen der handgefertigten Spitzen zu finden!

 

Nach der Ausstellung erschreckt diesen Mangel bedenkend, glaubte ich noch, mich getäuscht zu haben – wir hatten wohl bei unserm Rundgang einen Saal im Museum übersprungen oder die Darstellung der Spitzen- und Klöppel-künstlerinnen sonstwie übersehen. Also fragte ich telefonisch im Museum nach.

So erfuhr ich, dass die Ausstellungsmacher bewusst darauf verzichtet hätten, die Urheberinnen all dieser feinsten handgefertigten Kunstwerke und später die (Maschinen) Stickerinnen zu erwähnen, weil das ‚den Rahmen der Ausstellung gesprengt hätte’. Wie ist es möglich, frage ich mich, dass der international renommierte St.Galler Stoff-Designer Martin Leuthold und der Luzerner Kostümbildner Bernhard Duss’ in Zusammenarbeit mit der Kuratorin des Museums, Ursula Karbacher, Frauen aus 5 Jahrhunderten, welche unter oft schwierigsten Bedingungen wundervolle Kunstwerke geschaffen haben, kurzerhand unsichtbar machen?

 

Auch im Text des Ausstellungsführers werden die Spitzenkünstlerinnen lediglich Arbeiterinnen oder Spitzenmacherinnen genannt, während die Männer, welche viel später in der Geschichte maschinell hergestellte Spitzen fertigen, Sticker sind.

 

Dies alles unter dem Versprechen der Ausstellungsmacher, den Besucherinnen und Besuchern eine umfassende Übersicht der Geschichte der Spitze zu gewähren? Seit Jahrtausenden versuchen patriarchale Geschichtsschreiber das Wirken von Frauen in der Kulturgeschichte abzuspalten, lächerlich zu machen oder als irrelevant zu diskriminieren. Dass dies aber im Jahre 2011 mit einer der weiblichsten Handfertigkeiten seit Menschengedenken noch immer geschieht, ist meiner Meinung nach ein Skandal.

 

Natürlich beinhaltet die Geschichte der später maschinell hergestellten Spitzen ein grosses Wissen und professionelles Können von Handwerkern und Maschinenbauern. Der Ursprung handgefertigter Spitzen kommt aber aus Frauenhand und beinhaltet immer mehr als das handwerkliche Können, denn: "Textile Frauenhandarbeit ist in allen Kulturen der Welt (auch) die Metapher für das Gewebe der Zeit, (und) für ihr Verrinnen.", Martin Heller, Ausstellungsmacher. 


Die in StGall gezeigte Spitzengeschichte wurde ihrer Wurzeln beraubt und hinterlässt aus diesem Grunde einen enttäuschend mangelhaften Überblick über die Geschichte der Spitzen. Respekt und Anerkennung vor den Leistungen und Kunstwerken Einzelner sind Pfeiler der Kultur in unserer Gesellschaft. In diesem Sinne steht die herrliche Ausstellung in STGall auf tönernen Füssen.


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