„Sissy, Maskottchen vom Riva“

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Mathilde Stierli mit der kleinen Vierbeinerin. Bild: Helen Baur-Rigendinger.
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Im Riva in Walenstadt ist "Sissy" das Maskottchen.

„Hundertjährig möchte ich nicht werden“, sagt Mathilde Stierli.

Bald in jedem zweiten Altersheim in der Schweiz leben auch Tiere. Walenstadt ist mit dabei. „Sissy tut nicht nur mir gut“, freut sich Hundebesitzerin Mathilde Stierli (78), die vor gut einem halben Jahr ins Riva gezogen ist.

 

Helen Baur-Rigendinger

12:12:2008

 

Walenstadt. Sissy bellt zur Begrüssung, wedelt mit dem Schwanz. „Ist gut jetzt“, meint Mathilde Stierli mit liebevollem Blick zu ihrem Vierbeiner. Sofort kehrt die sechsjährige Hündin zu ihrer Meisterin zurück. Ein eingespieltes Team, das anfangs April ins Altersheim Riva in Walenstadt eingezogen ist.


Vor drei Jahren hat sich die 78-Jährige im Altersheim angemeldet. Dass ihr Hund, ein Yorkshire-/Malteser-Mischling, mit muss, war für sie klar. Im vergangenen Frühjahr wollte sie ihr Vorhaben in Tat umsetzen. „Ich war selig, als mir Heimleiterin Regula Etter mitteilte, dass gerade ein Zimmer frei geworden sei.“ Weil die Pflege von Sissy und deren Gesundheitsvorsorge durch Mathilde Stierli gewährleistet ist und das Tier sich gut in den Heimbetrieb einordnen kann, erhielt auch der Vierbeiner grünes Licht. „Das wäre sicher nicht bei jedem Tier der Fall“, ist sich die Pensionärin im Klaren.

 

Sissy sei eben eine besondere Hündin: Klein, sehr brav, folgsam und liebesbedürftig. Vor jeder Pensionärin und vor jedem Pensionär lege sie sich auf den Boden und wolle gestreichelt werden. „Alle haben sie ins Herz geschlossen. Sie ist das Maskottchen vom Riva.“

 

„Verwöhnt wie in einem Hotel“

„Sie können sich gar nicht vorstellen, wie glücklich ich hier bin“, sagt Mathilde Stierli strahlend. „Und das seit dem ersten Tag.“ Ihr Blick gleitet durch das liebevoll eingerichtete Zimmer, das verrät, dass die einst viel Gereiste eine Vorliebe für Afrika hegt. Eineinhalb Wochen hätten die Tochter und der Schwiegersohn investiert, um ihr neues Zuhause auf Vordermann zu bringen. Mitgenommen habe sie die liebsten Möbel. Freude hat sie auch am plätschernden Brunnen – ein Geschenk ihrer Lieben, das nicht nur beruhige, sondern auch für gute Luft sorge.

Heimweh nach ihrer ehemaligen Wohnung an der Kirchgasse kennt sie nicht. Die Leute, die Pensionäre ebenso wie die Angestellten, seien alle sehr herzlich zu ihr. „Phantastisch ist auch das Essen.“ Sie werde wie in einem Hotel verwöhnt.

 

Kein Zutritt zum Speisesaal

Wer ein Tier hat, hat immer eine Aufgabe. Zudem gilt es Regeln einzuhalten. Wie funktioniert das im Altersheim? „Kein Problem“, lacht Mathilde Stierli. Tagwache ist zwischen 6.30 und 7 Uhr. Nach einem ersten Spaziergang mit Sissy folgt die Morgentoilette, danach das Frühstück.

Zum Speisesaal habe der Hund keinen Zutritt. „Sissy bleibt mucksmäuschenstill im Körbchen, bis ich zurück komme.“ Die rüstige Pensionärin hat sich anerboten, beim Geschirr abräumen mit anzupacken. Das mache Spass und bringe Kontakt mit Leuten. Zurück im Zimmer räumt sie auf, bevor sie sich wieder aufmacht: Entweder zu einem weiteren Spaziergang oder zu einem der vielfältigen Heim-Angebote.

 

Gedächtnistraining steht ebenso auf dem Programm wie Turnen und Singen. Letzteres bereitet Sissy besonderen Spass. „Wenn am Schluss alle klatschen, mischt sie sich mit fröhlichem Gebell ein.“ Nach dem Mittagessen folgt ein kleines Nickerchen vor dem Fernseher. „Das beste Schlafmittel“, kommentiert Mathilde Stierli vergnügt.


„Sissy kennt jeden Befehl“

Zurück von einem weiteren Rundgang sitzt sie mit Pensionären zusammen, spielt Karten, löst Kreuzworträtsel oder vertieft sich in ein Buch. Vor und nach dem Nachtessen sowie vor dem Schlafen trifft man sie erneut draussen an. Die Abende verbringen die beiden vor dem Fernseher. „Unglaublich, wie mein Schatzeli mitgeht“, erzählt die Pensionärin.

Jeden Hundewerbespot kenne das Tier. Und jeden Befehl. „Wenn ich ‚Auto’ sage, geht sie auf die Seite. Wenn ich ‚Warte’ sage, bleibt sie stehen.“

Für die gebürtige Oberösterreicherin war zeitlebens klar, dass sie ihren Lebensabend im Altersheim verbringt. Sie habe wunderbare Kinder und Enkelkinder. „Familien, die ich jedoch nicht belasten möchten.“ Mit der von ihr gewählten Lösung hätten alle ihren Frieden. „Ein Weg, den ich nur empfehlen kann“, betont sie.

 

Der Tod gehört zum Leben

Dass das Glück heute auf ihrer Seite ist, findet sie wunderschön. Das sei nicht immer der Fall gewesen. „Vielleicht will der Herrgott einen Ausgleich schaffen.“ Nach dem Krieg kam die 17-Jährige durch eine Bekannte ins „Schlaraffenland Schweiz“. In Kreuzlingen absolvierte sie bei einer Familie eine Haushaltlehre. Danach folgten im Raum Zürich verschiedene Einsätze im Service.

 

Der Liebe respektive ihrem Mann folgend zog sie später nach Jenins. Elf Monate alt war die Tochter, zweieinhalb Jahre der Sohn, als ihr Mann tödlich verunglückte. „Ein hartes Schicksal“, blickt sie zurück. Als 1965 im Vilan Sargans eine Stelle frei wurde, bewarb sie sich und schaffte sich im Laufe der Jahre zur Abteilungsleiterin hoch.

Dass sie die Freude am Leben nicht verloren hat, führt sie auf ihre positive Lebenseinstellung zurück. „Vor dem Tod habe ich keine Angst“, sagt sie. Aber klare Vorstellungen. Dazu gehören der Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen sowie die Linderung starker Schmerzen. „Hundertjährig möchte ich nicht werden“, schliesst sie. Und natürlich hofft sie, dass ihr Vierbeiner vor ihr gehen kann. „Er hängt so an mir, der kleine Schatz.“


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