Die Philosophie und ihre Frauen

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Wollte zuerst Malerin werden - bis sie ihre Leidenschaft für die Philosophie entdeckte: Annegret Stopczyk.
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Frauen haben schon immer gut und gerne selber gedacht.

Weitere Informationen zur Ausstellung:
www.kultur.sg.ch/
aktuelles
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Die Ausstellung "Nein danke, ich denke selbst" vermittelt einen Überblick über jene Frauen, die seit der Antike selber dachten, sich mit ihren Gedanken öffentlich bemerkbar machten und Einfluss nehmen wollten auf das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Die Ausstellung wird bis zum 26. Mai 2010 im Kulturraum des Regierungsgebäudes in St.Gallen gezeigt. ostschweizerinnen.ch hat die Initiatorin der Schau, die Philosophin Annegret Stopczyk, rund um das Thema Philosophie befragt.

 

Elke Baliarda

28:04:2010

 

Unsere Gesellschaft ist rar an Philosophinnen. Frau Dr. Annegret Stopczyk-Pfundstein wie wurden Sie zur Philosophin?

Als 15 Jährige wollte ich unbedingt Malerin werden. Dann geriet ich in politische Gruppen von 68er StudentInnen und habe mit Philosophie Kontakt bekommen. Da war es um mich geschehen. Ich wollte auch die „Übel an der Wurzel“ ausreißen können, wie es damals hieß.


Sie haben eine Wanderausstellung konzipiert. Wie kam es dazu. Und wo hat diese schon Halt gemacht?

Ich habe sie nach einer Aufforderung einer Gruppe von Berliner Volkshochschuldozentinnen in Berlin für das Jahr 2000 mit ihnen vorbereitet und konzipiert. Es sollte das neue Jahrtausend mit einer Ausstellung über ganz besonders fähige Frauen eingeläutet werden. Für mich natürlich Philosophinnen. Sie war schon in den letzten 10 Jahren in 45 Städten oder Dörfern zu sehen, in Deutschland, Österreich und in Italien.


Wie ist das Echo auf die die Ausstellung bisher?

Bis auf 2009 war die Ausstellung immer jeden Monat ausgebucht und zur Zufriedenheit der VeranstalterInnen überraschend gut angenommen worden in der Bevölkerung. Es entstanden auch Philosophische Zirkel und Philosophische PraktikerInnen vor Ort hatten mehr Zulauf. Die örtliche Presse hat immer interessiert berichtet.


Neuer Ausstellungsort St. Gallen. Warum gerade St. Gallen

Weil ich hier einen freien Studiengang für Philosophische Praktikerinnen initiiert habe und die Ausstellung noch nie in der Schweiz war. So haben meine Studentinnen und auch ich Gelegenheiten in dieser geschichtsträchtigen und intellektuell offenen Stadt in der Öffentlichkeit zu philosophieren. Denn das ist mein philosophisches Ziel als Philosophin. Philosophische Kultur in die Gesellschaft hinein bringen.


Die Philosophie ist weiblich. Man redet immer von Philosophen, seit wann gibt es überhaupt Philosophinnen?

Es gab sie immer, seit es auch Philosophen gibt. Die erste war Sappho, die um 600 in ihrer Akademie lehrte. Aber weil die Männer sich die Macht errungen hatten, den Frauen zu verbieten, dass sie sich bilden und schulen lassen können, mussten sich Philosophinnen bis vor 100 Jahren sozusagen auf freier Wildbahn entwickeln, indem großzügige Väter und Brüder sie am Privatunterricht teilnehmen ließen.

Es gab immer Philosophinnen, die sich öffentlich in die Meinungsbildung eingemischt haben und zu ihrer Zeit berühmt waren, auch manchmal berüchtigt, für das, was sie dachten. Die Schwierigkeit war nur, außerhalb von Institutionen eine Tradition der Philosophinnen zu pflegen, denn die Universitätsmänner nehmen sie noch heute fast gar nicht in ihren Kanon auf.


Konnten diese Philosophinnen etwas bewirken?

Die Engländerin Mary Wollestonecraft hat zur Zeit der französischen Revolution gegen ihre männlichen Kollegen die Begriffe „Menschenrechte“ und „Frauenrechte“ entwickelt, die später Grundlage waren für die UNO. Heute wirken vor allem amerikanische Philosophieprofessorinnen mit in wichtigen politischen Gremien. So wie Martha C. Nussbaum. Im deutschsprachigen Raum herrscht noch immer der Kanon von männlichen Gelehrtengruppen.


Gibt es bekannte Arbeiten von ihnen?

Bekannt werden Frauen durch die Medien und in den Medien bestimmen meistens – nicht immer – Männer, die noch die alte Gewohnheit haben, das Denken von Frauen als unerheblich abzutun. In meiner Ausstellung sind viele Werke genannt, die alle den Wert haben, sehr bekannt zu sein. Meistens kennen wir nur Hannah Arendt und Simone de Beauvoir, aber wohl deshalb, weil sie mit berühmten Männern liiert waren. Über ihre Werke wird auch nicht wirklich nachgedacht.


Denken die Philosophinnen anders als ihre männlichen Kollegen?

Oftmals fallen sie durch einen stärkeren Freiheitsdrang auf, was nicht verwunderlich ist. Sie greifen oft Themen auf, die von ihren Kollegen als „Unphilosophisch“ abgetan werden. So wie Agnes Heller eine Philosophie des Alltags entwickelt hat, oder eine Philosophie der Gefühle.

Um 1900 hat die damals berühmte Helene Stöcker im gesamten europäisch deutschsprachigen Raum gewirbelt und war die Haupttheoretikerin der Sexualreformbewegung und der Friedensbewegung. Sie hat auch den Begriff „Männerbewegung“ entwickelt, und es gibt noch heute Männergruppen, die in ihrem Andenken sich versammeln als „Männerbewegung“.


Und braucht es vermehrt die Ruferinnen aus der Wüste?

Auch die Wüste lebt. Es braucht nur etwas Regen. Philosophinnen können die Menschen mit ihrer besonderen Sicht inspirieren, besonders philosophische Praktikerinnen, die ihr gelebtes Leben mit einbringen können in ihre philosophischen Sichtweisen.

Darum bilde ich berufstätige Frauen philosophisch weiter, damit sie das Philosophieren mit mehr Leben erfüllen, als es die heutige akademische Philosophiewissenschaft tun kann. Philosophieren ist wie die Dichtung eine kreative Tätigkeit mitten aus dem Leben heraus, die WissenschaftlerInnen interpretieren dann die Texte der Kreativen. So ist es ja auch in der Literaturwissenschaft.

Ohne eine lebendige philosophische Kultur schlafen wir am Ende alle nur vor dem Fernseher ein und wenige PolitikerInnen und Geldgierige regeln unsere Welt.

 

Details zum prall gefüllten Paket an Begleitveranstaltungen finden Sie hier.


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