"Kämpfen ist cool"

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Schwitzen, Kräftemessen, Auspowern: Michelle Senn hat das Thaiboxen vor vier Jahren entdeckt. Bild Helen Baur-Rigendinger
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Thaiboxen ist eine der ältesten Sportarten. Bild: WTG Buchs.

Michelle Senn ist am 12. April 2008 in der Spörry-Halle Vaduz in Aktion zu sehen.

Thaiboxen – ein Sport nur für Männer? „Keineswegs“, sagt Kantonsschülerin Michelle Senn, die seit vier Jahren eisern trainiert. Kicken und Boxen bringt nicht nur Kondition, Körperbeherrschung und Selbstvertrauen, sondern ist auch Fun.

 

Helen Baur-Rigendinger

09:04:2008

 

Sargans/Buchs. Ein Wochenabend im Wing Thai Gym in Buchs. Michelle Senn gehört zu den ersten, die im Trainingsraum mit Aufwärmübungen beginnen. Sie greift zum Springseil. Fünf, zehn, fünfzehn Minuten. Weiter geht’s. Kein Schweisstropfen rinnt. Niemand spricht. Die Springseile der Thaibox-Schüler klatschen regelmässig auf den Boden. Mittlerweile sind drei Frauen und drei Männer im Einsatz. Im Hintergrund beginnt Trainer Rohy Batliwala mit Aufwärmübungen.

 „Hopp, hopp, wir beginnen“, heisst es bald einmal. Kurz und präzise sind die Anweisungen. Dehnübungen sind angesagt. Zwanzig Liegestützen, zwanzig Rumpfbeugen. Ausdauernd und konzentriert wird an der Thaibox-Technik gefeilt. Die Schläge und Kicke in verschiedensten Kombinationen müssen sitzen. Der Schweiss rinnt. Dann folgt Schattenboxen. Zwischendurch immer wieder Liegestützen und Rumpfbeugen. „Hopp, hopp“, ruft Rohy. Hände werden bandagiert, Boxhandschuhe und Fuss- und Beinschützen übergestreift. Partnerübungen mit Boxkissen stehen ebenso auf dem Trainingsprogramm wie Übungen gegen den mit Pratzen geschützten Trainer.

Michelle Senn trainiert mit der amtierenden Weltmeisterin Carol Flury. Schnell und zielgerichtet sind die Schläge der Frauen. Obwohl Körperkontakt dazu gehört, werden die Faustschläge und Fusstritte durch beeindruckende Technik gebremst, bevor sie bei der Trainingspartnerin ankommen. Abgerundet wird das Training mit Ausdehnen. Michelles Haare sind klatschnass, der Kopf rot. Sie strahlt. Weder Blessuren noch Verletzungen hat sie abbekommen. Federleicht und ausgepowert tritt sie den Weg nach Hause an.

 

Dank Thaiboxen sportlich geworden

„Früher war ich nicht besonders sportlich“, erzählt die 18-jährige Buchserin lachend. Thaiboxen hat sie vor vier Jahren durch eine Kollegin näher kennen gelernt. „Ich wusste sofort, das ist mein Sport – das Schwitzen, das Kräftemessen, sich herausfordern, das Auspowern, die warme Dusche, das gute Rund-um-Gefühl.“ Drei Mal wöchentlich ist Michelle Senn im Thai Gym in Buchs anzutreffen. Vor Wettkämpfen trainiert sie gar fünf Mal pro Woche. Dazu kommt Joggen.
Wie reagiert das Umfeld auf eine Frau, die einen Kampfsport trainiert? Welches sind die Voraussetzungen? Sie lacht. „Heute finden es die Leute cool.“ Am Anfang hätten jedoch viele gestaunt und sich gefragt, wie sie, eine eher kleine, zierliche Frau, sich für Thaiboxen begeistern könne.

Das eine schliesse das andere nicht aus. Grösse und Kraft allein seien nicht ausschlaggebend. Wichtig sei vor allem, dass man sich für den Kampf eine gute Technik und Geschicklichkeit aneigne. „Besondere Voraussetzungen sind nicht erforderlich. Wichtig ist allein der Wille, Ja zum harten Training zu sagen.“

 

"Kämpfen ist cool"

Vor zweieinhalb Jahren hat Michelle ihren ersten Kampf in Luzern bestritten. Äusserst nervös sei sie im Vorfeld gewesen, erinnert sie sich. Obwohl ihre Technik zu wünschen übrig liess, hat sie dazumal gewonnen. „Das war ein total cooles Gefühl.“
Wenn sie heute den Ring betritt und der Gong ertönt, sind Publikumsstimmen ausgeblendet. Lediglich die Stimme des Trainers dringt zu ihr durch. „Er ist eine Respektsperson, die mich fordert und voll hinter mir steht“, lobt sie Rohy. In der Zwischenzeit hat sie einige Kämpfe bestritten. Manchmal muss sie unten durch, manchmal gewinnt sie. Die Genugtuung, wenn sie ihre Gegnerin KO schlägt, ist gross. „Das mag für Aussenstehende irgendwie fies tönen“, räumt sie ein. Sportgeist heisst für sie, im Ring „voll ran zu gehen“, sich nachher zu umarmen und sagen können; „Das war ein toller Kampf.“

 

(Thai-)Boxen im Trend

Mit Genugtuung registriert Michelle Senn, dass die Zahl der boxenden Frauen steigt. Weltmeisterin Carol Flury, mit der sie regelmässig trainiert, ist für sie ein Vorbild. Um ein solches Ziel zu avisieren, wäre sie persönlich zu wenig ehrgeizig. „Ich müsste zu viel aufgeben“, sagt die 18-Jährige und erinnert an ihr ebenfalls zweitaufwändiges Engagement in der Pfadi sowie den Kollegenkreis. „Vorbereitung auf einen Boxkampf“ hiess die Maturaarbeit, welche die Buchserin kürzlich an der Kantonsschule Sargans dem interessierten Publikum vorstellte. Warum ein Boxkampf? Warum nicht eine Arbeit über Thaiboxen?
Ursprünglich sei vorgesehen gewesen, dass sie an der Schweizer Box-Meisterschaft hätte mitmachen können, erklärt sie. Weil sie zu jung war, bestritt sie letztendlich einen „gewöhnlichen Boxkampf“. Obwohl die Vorbereitung gut war, liess die Deckung während des Kampfes zu wünschen übrig und sie verliess den Ring als Besiegte.

Die Niederlage erklärt sie sich unter anderem damit, dass Boxen eine sehr schnelle Sportart ist, bei der sich alles auf den Kopf konzentriert. „Thaiboxen ist ruhiger. Da folgen zwei Schläge, dann ein Kick mit dem Fuss. Dann entfernt man sich wieder.“

 

"Passieren kann überall etwas"

Die Vorbereitungen für die nächste Herausforderung sind in vollem Gang. Am 12. April wird Michelle Senn in der Spörry-Halle in Vaduz erneut in den Ring steigen. Gegen die aus Zürich stammende Thaiboxerin (Gewichtsklasse bis 57 kg) hat sie vor einem Jahr knapp verloren. „Vielleicht klappt es diesmal“, schaut sie der Herausforderung optimistisch entgegen.

Sie freut sich, dass ihre Eltern hinter ihr stehen, auch wenn sie vor jedem Kampf „Schiss“ haben. „Passieren kann überall etwas“, gibt sie sich selbstsicher. Bis jetzt ist sie mit einigen Schlägen und Nasenbluten davon gekommen. Wenige Monate vor Abschluss der Kantonsschule mit Schwerpunkt Wirtschaft hat sie ihren Willen und die Ausdauer nicht bereut. Dank Thaiboxen verfügt sie über eine ausgezeichnete Kondition und ein gesundes Selbstvertrauen. Nicht missen möchte sie den besonderen Kick. „Das Training bringt mich an ihre Grenzen und ermöglicht ein Abschalten, das ein ganz besonderes Lebensgefühl hervor ruft.“ Ob und wie sie ihrem Lieblingssport künftig frönen kann, steht noch in den Sternen. Im Zwischenjahr stehen Sprachaufenthalte in der Westschweiz und in den USA auf dem Programm. Danach möchte sie Wirtschaft studieren. Fest steht allerdings: Aufs Auspowern – wenn nicht beim Boxen, dann beim Joggen – wird sie auch in Zukunft nicht verzichten.


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