Waris Dirie: Mit Liebe und Respekt die Welt verändern – auch durch Mode (Teil II von III)

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Engagiert, sympathisch, schön: Waris Dirie. Bild: Wiki.
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Das neuste Buch von Waris Dirie.

Zum ersten Teil der Reportage gelangen Sie hier.


 

Informationen und Unterstützung:
www.desertflower
foundation.org/de/

Lektüre:
Waris Dirie
Schwarze Frau, weißes Land“
Droemer Verlag
EUR (D) 19,95
ISBN3-426-27535-X
ISBN 978-3-426-27535-1.

„Wüstenblume“ – ein Buch, ein Film gehen um die Welt … und afrikanisches Design erobert die Modeszene. Waris Dirie ist mit ihrer Lebensgeschichte berühmt geworden. Sie hat in den Mittelpunkt gerückt, was vorher ein Schattendasein führte: die systematische Folter an Mädchen und Frauen, die zu einer Genitalverstümmelung gezwungen werden, sowie die Folgen – Tod oder ein lebenslanges Leiden. Eine gängige Praxis vor allem, aber keinesfalls nur in afrikanischen Ländern. Ein Verbrechen, das durch Migrationsströme bis mitten nach Europa reicht.

 

Evelyn Thriene

07:10:2011

 

 Wien – ein europäischer Standort für die Liebe zum schwarzen Kontinent

 

Ihr dringender Appell geht an alle europäischen und amerikanischen Verantwortlichen im Umgang mit Migrantenfamilien: Aufklärung über Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung ist das Gebot der Stunde, für die hohe Politik, für die gesamte Ärtzteschaft, für die Betreuungspersonen vor Ort. Nur so lässt sich weiteres Unheil auf dem Boden der reichen Nationen vermeiden – in der direkten Auseinandersetzung mit den eingewanderten Familien. Große Probleme hat sie mit den VertreterInnen der afrikanischen communities, die eine Einmischung in ihre Folter-„Kultur“ als westlichen Einfluss strikt ablehnen.


Dirie: „Ich verstehe einfach nicht, warum man Menschen, die nach Europa oder in die USA kommen und Asyl beantragen, nicht eine Erklärung unterschreiben lässt, in der sie darüber informiert werden, dass FGM (weibliche Genitalverstümmelung) ... illegal ist.“


Die Autorin prangert angesichts eines Weltproblems an: Aufklärungswillen und politisches Handeln seitens der Regierungen sind dürftig. Fördergelder für afrikanische Kulturvereine im Ausland sind nicht an Auflagen und Aufklärungsarbeit gebunden. Und in den Schulen wird fast gar nicht darüber gesprochen. Fazit: Politik und Gesellschaft nehmen rund 200 Millionen Verstümmelungen von Frauen und Mädchen, darunter schon der allerkleinsten, einfach hin (die Zahl ist eine Schätzung am unteren Rand der tatsächlichen Verhältnisse). Duldung eines Massenverbrechens, um das sich niemand wirklich kümmern will – nicht einmal die UNO, die sie als Repräsentationsfigur herumreicht, aber die Drehgenehmigung an ihrem Sitz in New York für ihren Film verweigert. Eine UNO-Resolution zu ihrem Anliegen gab es nie.

In ihrer Stiftung sammeln sich Beweise für FGM aus unerträglich vielen Ländern: Iran, Irak, Syrien, Türkei, Indonesien, Malaysia, Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, Bosnien, Kolumbien, Brasilien ... Eine weltweite Protestwelle vermisst die Autorin bis heute.

Beinahe wäre nicht einmal der Film über ihr Leben entstanden: Die Filmindustrie lehnte eine Finanzierung eines unbedeutenden Anliegens einer schwarzen Frau ab. Und Einladungen zu Interviews und Statements wurden abgesagt, weil verantwortliche Redakteure entschieden: Das Thema ist der Bevölkerung nicht „zumutbar“.

 

Hoffnung auf Veränderung? „Es gibt Arbeit, die getan werden muss.“

 

Trotz enormer Höhen und Tiefen, Erfolgen und Rückschlägen - Waris Dirie hält stand. Sie hat das unvorstellbare Elend der Menschen in den afrikanischen Slums der großen Städte vor Augen. Bald werden es eine halbe Milliarde Menschen sein. Sie kritisiert eine Entwicklungshilfe, die nicht die verelendeten Menschen im Blick hat, sondern eine Art Interessensaustausch auf Regierungsebenen pflegt. Die Korruption schöpft beträchtlich davon ab. Die Politikerklasse und ihre Clans leben von gestohlenem Geld in unvorstellbarem Luxus, total abgeschirmt von der eigenen Bevölkerung. Projektorientierte Entwicklungshilfe seitens der Ersten Welt ist erst ein neuerer Trend – noch immer bringt Entwicklungshilfe Überfluss für ein paar wenige unverantwortliche Machthaber, ihre Unterstützer und die Militärs.


Wirtschaftliche Eigendynamik kommt auf dem schwarzen Kontinent nicht recht in Schwung: Ein profitables Wirtschaftsleben steckt in den Kinderschuhen. Es fehlt an afrikanischem Unternehmertum, an Eigenkapital und an Investoren. Statt dessen beuten China und arabische Staaten Afrika, den unerschöpflichen Rohstoffgeber, aus. Kapital kommt zwar in den Kontinent, aber Gewinne werden anderswo gemacht. Die „Abschöpfung“ Afrikas führt dazu, dass vor Ort keine Arbeitsplätze entstehen. Die Hilfe aus den reichen Ländern muss ganz neu ansetzen: bei Wirtschaftsförderung, Bildung und Frauen.

 

Zurück in ihrer alten Welt: „Ich darf Afrika nicht aufgeben“

 

Nirgendwo ist die Bildungsrate so niedrig wie in Afrika. Die Unterschiede in der Bildung von Jungen und Mädchen sind nirgendwo auf der Welt so gravierend wie auf diesem Kontinent. Eine gebildete und gut ausgebildete neue Generation wäre die Hoffnung Afrikas. Aber Mädchen dürfen kaum Schulen besuchen, das verhindern die Männer mit ihren traditionellen Vorstellungen. Die Frauen dürfen nicht entscheiden, obwohl ihre Männer nicht arbeiten und sich die meiste Zeit nutzlos berauschen. Dirie leistet vor Ort Überzeugungsarbeit, wo sie geht und steht. Sie gerät in Gefahr. Sie kämpft weiter.

Sie begeht den absoluten Tabu-Bruch und spricht vor Regierungsmitgliedern in Dschibuti über weibliche Genitalverstümmelung. Ihr wird das Wort entzogen. Sie kämpft weiter.

Überall begegnet ihr Widerstand, auch bei den Frauen. Diese sprechen von „Tradition“. Sie besteht auf dem Wort Menschenrechtsverletzung.

Dirie eröffnet uns ein ganzes Spektrum ihrer Gefühle zwischen Schmerz, Wut, Sehnsucht und Aufbruchstimmung. Die endlose Weite der Wüste bringt die Entscheidung. Sie hatte schon positive Erfahrungen auf afrikanischen Frauenkonferenzen gemacht. Dort ging es um Austausch, Voneinanderlernen, Lösungen, nicht um Selbstdarstellung wie bei den Männern. Sie kommt zu dem Entschluss: „Wir müssen mehr tun für die Frauen in Afrika.“


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