Ein feministischer Blick auf das WEF 2014 - Männerparadies in Davos

07:02:2014

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Evelyne Zinsstag
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Blick ins Open Forum

Evelyne Zinsstag, 24, studiert Theologie an der Uni Zürich. Daneben engagiert sie sich in feministischen Studentinnenkreisen und arbeitet als Übersetzerin (Chinesisch-Deutsch).

Unter dem Motto „Die Neugestaltung der Welt“ hat sich die Versammlung der Reichen und Mächtigen am WEF auch dieses Jahr als Re-Inszenierung einer vergehenden Weltordnung präsentiert: 84 % der geladenen Spitzengäste aus Politik und Wirtschaft waren männlichen Geschlechts.

 

Evelyne Zinsstag

 

Aber auch ohne Zutritt zu den hochsicheren Gefilden des Kongresszentrums und der Fünfsternhotels kam ich bei einem Spaziergang durch Davos punkto Männer auf meine Kosten: Die Limousinenchauffeure, die Polizisten, die Scharfschützen, die Bodyguards, die Securitas-Wächter, die Schneeräumer... sogar ein Blick in eine Restaurantküche zeigte mir: Lauter Männer. Davos, Ende Januar: Ein Männerparadies. Natürlich waren Frauen mancherorts sichtbar – als Serviceangestellte, Pressemitarbeiterinnen, Organisatorinnen, Ehefrauen –, und zahlreiche unsichtbare Putzfrauen und Sexarbeiterinnen können wir uns dazudenken.


Open Forum

Das Open Forum (http://www.openforumdavos.ch/en/open-forum-2014.html), das dieses Jahr zum zweiten Mal seit dem Ausstieg des SEK 2011 (http://www.kirchenbund.ch/de/pressemitteilung/2011/open-forum-davos-ziel-erreicht) allein vom WEF organisiert wurde, zeigte ein etwas besseres Bild. An sechs Podiumsgesprächen wurden vielfältige Themen diskutiert: die Zukunft der Hochschulbildung, das Dafür und Dawider von globaler Migration, der Ausbau des Unternehmertums, die Möglichkeit eines ethischen Kapitalismus, die Möglichkeit der Gleichstellung von Geschlechtern und Glaubensformen und die Zukunft der Schweiz nach dem Bankgeheimnis. Mindestens eine Frau war bei jedem Podiumsgespräch dabei – beim Geschlechter- und Religionspodium waren es sogar vier. Das ergibt eine Quote von knapp 30%, doppelt so hoch wie beim „richtigen“ WEF.


Siehe, wir machen alles neu?

 Inhaltlich war an den Podiumsgesprächen nicht viel Neues zu lernen: Gerade was den Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt anging, blieb die Debatte auf deren Partizipation am gängigen Wirtschaftsmodell beschränkt. Der Mikrokredit-Begründer Mohammed Yunus, der am Kapitalismus-Podium als Einziger einige kritische Denkansätze lieferte, wurde von seinen MitrednerInnen, darunter der häufige Open-Forum-Gast Peter Brabeck (Nestlé), aber auch von Jasmine Whitbread (Save the Children) sogleich als naiv und leichtsinnig hingestellt. Einzig am Geschlechter- und Religionen-Podium erhielten spannende und engagierte Stimmen Raum. Das Podium hinterliess bei mir jedoch den unbefriedigenden Eindruck, dass solche Themen noch immer separat in einer „Frauen-Ecke“ abgehandelt werden, als ob Migration, höhere Bildung, Wirtschaftssysteme – und nicht zuletzt die Zukunft der Schweiz! – keine durch und durch von Gender, Religion und Kultur geprägten Themen wären, die als solche auch angegangen werden müssten. Es bleibt zu erwähnen, dass alle Podien sehr Europa- und USA-lastig besetzt waren. Aus Ostasien, Südamerika und Afrika war ausser Kofi Annan niemand vertreten.

Bewusstseinarbeit für alle ist gefragt

Bei aller Kritik gibt es auch einige Bemühungen des WEF nennen, die zumindest ein gewisses Problembewusstsein der Wirtschaftselite zeigen. So hat dieses Jahr der „Refugee Run“ (http://www.refugee-run.org/) stattgefunden, eine u.a. von Nestlé und der UBS finanzierte Simulation eines Flüchtlingslagers, die rege besucht wurde. Die global wachsende Diskrepanz zwischen Reich und Arm wurde mehrfach thematisiert. Es fanden einige Podien zu interkulturellem Dialog und Gender-Themen statt. Auf Twitter wurde unter dem Hashtag #davoswomen (https://twitter.com/search?q=%23davoswomen&src=typd) rege debattiert. Dies und noch einiges mehr (ich verzichte darauf, die zahlreichen Reden voller grosser Worte aufzuzählen) zeigt, dass sich die versammelten Menschen doch bewusst sind, dass sie in der Öffentlichkeit keinen sehr guten Ruf geniessen. Dennoch zeigt die Reaktion (http://youtu.be/Bal7V4Xuv1w) von Gazprom-Chef Sergei Vakulenko auf die Verleihung des Public Eye Award (http://publiceye.ch/de/), dass noch viel mehr Bewusstseinsarbeit geleistet werden muss, bis wirklich menschlich wird, was sich heute Weltwirtschaft und Weltpolitik nennt. Die Neugestaltung der Welt kann nicht von Wenigen geleistet werden, so reich und mächtig sie auch seien. Sie ist unser aller Auftrag.


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