Aber auch ohne Zutritt zu den hochsicheren Gefilden des
Kongresszentrums und der Fünfsternhotels kam ich bei einem Spaziergang durch
Davos punkto Männer auf meine Kosten: Die Limousinenchauffeure, die Polizisten,
die Scharfschützen, die Bodyguards, die Securitas-Wächter, die Schneeräumer...
sogar ein Blick in eine Restaurantküche zeigte mir: Lauter Männer. Davos, Ende
Januar: Ein Männerparadies. Natürlich waren Frauen mancherorts sichtbar – als
Serviceangestellte, Pressemitarbeiterinnen, Organisatorinnen, Ehefrauen –, und
zahlreiche unsichtbare Putzfrauen und Sexarbeiterinnen können wir uns
dazudenken.
Open Forum
Das Open Forum (http://www.openforumdavos.ch/en/open-forum-2014.html),
das dieses Jahr zum zweiten Mal seit dem Ausstieg des SEK 2011 (http://www.kirchenbund.ch/de/pressemitteilung/2011/open-forum-davos-ziel-erreicht)
allein vom WEF organisiert wurde, zeigte ein etwas besseres Bild. An sechs
Podiumsgesprächen wurden vielfältige Themen diskutiert: die Zukunft der
Hochschulbildung, das Dafür und Dawider von globaler Migration, der Ausbau des
Unternehmertums, die Möglichkeit eines ethischen Kapitalismus, die Möglichkeit
der Gleichstellung von Geschlechtern und Glaubensformen und die Zukunft der
Schweiz nach dem Bankgeheimnis. Mindestens eine Frau war bei jedem
Podiumsgespräch dabei – beim Geschlechter- und Religionspodium waren es sogar
vier. Das ergibt eine Quote von knapp 30%, doppelt so hoch wie beim „richtigen“
WEF.
Siehe, wir machen alles neu?
Inhaltlich war an den Podiumsgesprächen nicht viel Neues zu
lernen: Gerade was den Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt anging, blieb die
Debatte auf deren Partizipation am gängigen Wirtschaftsmodell beschränkt. Der
Mikrokredit-Begründer Mohammed Yunus, der am Kapitalismus-Podium als Einziger
einige kritische Denkansätze lieferte, wurde von seinen MitrednerInnen,
darunter der häufige Open-Forum-Gast Peter Brabeck (Nestlé), aber auch von
Jasmine Whitbread (Save the Children) sogleich als naiv und leichtsinnig
hingestellt. Einzig am Geschlechter- und Religionen-Podium erhielten spannende
und engagierte Stimmen Raum. Das Podium hinterliess bei mir jedoch den
unbefriedigenden Eindruck, dass solche Themen noch immer separat in einer
„Frauen-Ecke“ abgehandelt werden, als ob Migration, höhere Bildung,
Wirtschaftssysteme – und nicht zuletzt die Zukunft der Schweiz! – keine durch
und durch von Gender, Religion und Kultur geprägten Themen wären, die als
solche auch angegangen werden müssten. Es bleibt zu erwähnen, dass alle Podien
sehr Europa- und USA-lastig besetzt waren. Aus Ostasien, Südamerika und Afrika
war ausser Kofi Annan niemand vertreten.
Bewusstseinarbeit für alle ist gefragt
Bei aller Kritik gibt es auch einige Bemühungen
des WEF nennen, die zumindest ein gewisses Problembewusstsein der
Wirtschaftselite zeigen. So hat dieses Jahr der „Refugee Run“ (
http://www.refugee-run.org/)
stattgefunden, eine u.a. von Nestlé und der UBS finanzierte Simulation eines
Flüchtlingslagers, die rege besucht wurde. Die global wachsende Diskrepanz
zwischen Reich und Arm wurde mehrfach thematisiert. Es fanden einige Podien zu
interkulturellem Dialog und Gender-Themen statt. Auf Twitter wurde unter dem
Hashtag #davoswomen (
https://twitter.com/search?q=%23davoswomen&src=typd)
rege debattiert. Dies und noch einiges mehr (ich verzichte darauf, die
zahlreichen Reden voller grosser Worte aufzuzählen) zeigt, dass sich die
versammelten Menschen doch bewusst sind, dass sie in der Öffentlichkeit keinen
sehr guten Ruf geniessen. Dennoch zeigt die Reaktion (
http://youtu.be/Bal7V4Xuv1w) von
Gazprom-Chef Sergei Vakulenko auf die Verleihung des Public Eye Award (
http://publiceye.ch/de/), dass noch viel
mehr Bewusstseinsarbeit geleistet werden muss, bis wirklich menschlich wird,
was sich heute Weltwirtschaft und Weltpolitik nennt. Die Neugestaltung der Welt
kann nicht von Wenigen geleistet werden, so reich und mächtig sie auch seien.
Sie ist unser aller Auftrag.