Eine weibliche Politik ist wichtig

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In ihrem Werk zeigt Andrea Günter die weibliche Seite der Politik auf.
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Andrea Günter hat mehrere Werke zum Thema Gleichstellung fotografiert.

Andrea Günter

Andrea Günter, geboren 1963, Dr. phil., ist Referentin in der frauenbewegten und in der beruflichen Fort- und Weiterbildung. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Habilitationsschrift. Die Philosophin und Theologin verfasste verschiedene Publikationen zum Thema Geschlechterdiffferenz, unter anderem die Bücher "Politische Theorie und sexuelle Differenz" (1998) und, als Herausgeberin, "Frauen - Mystik - Politik in Europa" (2000).

www.andreaguenter.de



Die weibliche Seite der Politik
Ordung der Seele, Gerechtigkeit der Welt

Facetten

Autorin. Günter Andrea
Taschenbuch: 277 Seiten
Verlag: Ulrike Helmer Verlag (April 2001)
ISBN-10: 3897410672
SBN-13: 978-3897410671

 

Gibt es die weibliche Politik und unterscheidet sich diese von der männlichen? Andrea Günter, Autorin des Buches "Die weibliche Seite der Politik" ist davon überzeugt.

 

Cornelia Forrer

19:10:2009

 

Drei Punkte sind es, die nach Recherchen der Autorin, die weibliche Politik beeinflussen: die Liebe zur Freiheit, der Wunsch nach gelingenden Beziehungen und die Suche nach einem eigenen Sinn weiblicher Existenz, der schliesslich nicht bloss von männlichen Werten abgeleitet werden darf. Es sei die Motivation, die dafür verantwortlich sei, dass es eine Frauenbewegung gibt und gemäss Günter auch in den nächsten Jahrzehnten geben wird. "Frauenbewegtes Denken und Handeln ist nicht eine Aufgabe, die mit den Erfolgen der Emanzipation abgehackt werden darf", so die Autorin. Das weibliche Verständnis von Politik sei nämlich als Massstab zur Beurteilung gesellschaftlicher Veränderungen und politischer Vorhaben unverzichtbar. Wenn von weiblicher Politik gesprochen werde, dann gehe es in erster Linie darum, die Politik generell als Problematik der Differenz zu verstehen, die mit der Geschlechterdifferenz in einer Wechselbeziehung stehe.

Von Philosophinnen geprägt
Andrea Günter beschäftigt sich in ihren Forschungsarbeiten seit Jahrzehnten mit den geschlechtlichen Differenzen. In ihrem Buch stellt die Philosophin Texte zusammen, in denen sie sich mit zentralen Begriffen und Themen der abendländischen politischen Situation beschäftigt. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Thesen der italienischen Philosophinnen um den Mailänder Frauenbuchladen und der Universität von Verona, die unter den Stichworten "Differenzfeminismus" oder "Affidamento" bekannt geworden sind. Ein zweiter durchgängiger Bezugspunkt ist Hannah Arendt, die schon lange vor den Italienerinnen auf die Bedeutung der Verschiedenheit für das politische Tun der Menschen und auf das Phänomen der Gebürtigkeit hingewiesen hatte. Nach der Autorin ist es zentral, dass die Frau die Kinder zur Welt bringt und damit als erste Bezugsperson, Begehren und Wünsche des Kindes vorbringt und aushandelt.

Wenn Ethik politisiert
Es sei eine Beziehung weiblicher Autorität, die durch den strukturellen Mutterhass der westlichen Tradition in ihrer Symbolhaftigkeit geschwächt worden sei. In der Auseinandersetzung mit Carol Gilligan und Jessica Benjamin zeigt Günter in ihrem Buch, dass es um mehr als um die Aufarbeitung einer weiblichen Identitätsfindung gehe. So sieht sie im scheinbaren Gegensatz zwischen Wunsch und Freiheit und dem Wunsch nach gelingenden Beziehungen einen Ausgangspunkt dafür, wie zentrale politische Begriffe neu gedacht werden müssen. "Freiheit bedeutet nicht Autonomie und Unabhängigkeit und schliesst Freiheit und Bezogenheit nicht aus, denn diese bedingen sich gegenseitig", so die Autorin. Weitere Eckpunkte, die im Buch behandelt werden, sind der allseits postulierte Postfeminismus und die Frage, was eine frauenbewegte Politik nach dem von den Italienerinnen diagnostizierten Ende des Patriarchates heissen kann. Die Bedeutung von Vaterschaft, das Verhältnis von Seele und Staat in den politischen Philosophien von Platon, Aristoteles und Kant, das Verhältnis von Ethik und Politik, die Rolle des Göttlichen und die postmodernen Thesen des Dekonstruktivismus werden im Werk zwar hinterfragt, jedoch nie mit erhobenem Finger.

Nichts zum Verschlingen
Die Texte Andrea Günters sind anspruchsvoll geschrieben und dienen nicht unbedingt als einfache Einschlaf-Lektüre. Sie setzen nämlich eine gewisse Kenntnis der philosophischen Tradition voraus und fordern dazu auf, neu zu denken und sich von festgefahrenen Traditionen zu verabschieden. In Zeiten aber, in denen banale Tipps und Trends den schnellen Weg zur vermeintlichen Emanzipation zu weisen versuchen, ist Günters Werk heilsam und notwendig. Günters Bücher zeigen auf, dass frauenpolitisches Denken sich nicht in plakativen Thesen oder Programmpunkten formulieren lässt, sondern genaues Hinschauen und differenziertes Nachdenken fordert.


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