Schweizer Architektin im Auftrag von König Fussball

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Das Green Point Stadion bietet Platz für 68 000 BesucherInnen.
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Das Stadion in Kapstadt zwischen Meer und Tafelberg. Bild: gmp.

Michèle Rüegg ist 1970 in Zürich geboren.

An der ETH Zürich hat sie Architektur studiert und 1998 abgeschlossen.

In Harvard absolvierte sie ein Nachdiplom-Studium in Architekturgeschichte und -theorie.

Von November 2006 bis Dezember 2009 war sie die Leiterin des Standorts vom gmp-Architektur-Büro in Kapstadt.

Seit Februar 2010 lebt Rüegg mit ihrer Familie in Rio de Janeiro.

Die gmp-Architekten sind in Brasilien, wo 2014 die nächste Fussball-WM stattfinden wird, für vier Stadien-Projekte verantwortlich.

Rüegg ist Leiterin des Standorts Rio de Janeiro.

Quelle: Radio SRI / swissinfo.

Michèle Rüegg war in Südafrika mitverantwortliche Bauleiterin bei drei Stadien für die Fussball-Weltmeisterschaft. Mit swissinfo.ch sprach die Schweizer Architektin über ihre Erfahrungen bei der Arbeit und ihren Alltag in fernen Ländern.

 

Sandra Grizelj

11:05:2010

 

Das Hamburger Architekturbüro "gmp", für das Michèle Rüegg arbeitet, erhielt im Jahr 2005 den Auftrag für den Neubau des Stadions in Port Elizabeth.

Ein Jahr später gewann es zudem den Wettbewerb für den Neubau der beiden WM-Stadien in Durban und Kapstadt.

Bevor Rüegg im Oktober 2006 nach Kapstadt zog, um dort die Leitung eines neuen Büros der gmp-Architekten zu übernehmen, wurden in der Anfangsphase mehrere Workshops in Deutschland und Südafrika zur Projektvorbereitung durchgeführt.

"So konnten wir die Planung der Projekte von Deutschland aus vorantreiben und nebenbei unsere lokalen Planungspartner aus Südafrika besser kennen lernen", erzählt Rüegg.

In diesen Workshops ging es ausschliesslich um die Projekte und nicht etwa darum, wie es ist, in Südafrika zu arbeiten und zu leben. Das lernte die Architektin erst nach und nach.


 

Aller Anfang ist schwer

Die erste Bewährungsprobe wartete auf Michèle Rüegg gleich zu Beginn: "Meine erste Feuertaufe war, innerhalb von zweieinhalb Wochen eine voll funktionsfähige Büro-Infrastruktur zu schaffen", erinnert sich Rüegg.

Während sie in Deutschland genau gewusst hätte, an wen sie sich in welcher Angelegenheit hätte wenden müssen, musste sie in Südafrika alle Informationen – zum Beispiel, wo man Telefone und Computer beschaffen konnte – zusammensuchen und lernen, die lokalen Gepflogenheiten zu verstehen.

"Dies in so kurzer Zeit in einem fremden Land hinzukriegen, war schon ein intensives Kennenlernen des neuen Umfelds", sagt sie.

Während dem Bauprozess gab es immer wieder grössere und kleinere Herausforderungen zu meistern. So sei die Errichtung des über 100 Meter hohen Bogens in Durban besonders schwierig gewesen, ebenso die Montage der Dachträger in Kapstadt und Durban.


 

Doppelt herausgefordert

"Das Wichtigste war, bei all den Problemen, die es auf so einer grossen Baustelle gibt, das fertige Bild des Stadions nicht aus den Augen zu verlieren", betont Rüegg.

Die grösste Herausforderung sei allerdings mit der Geburt ihres Sohnes gekommen, weil sie das Berufs- und das plötzlich komplett veränderte Privatleben unter einen Hut bringen musste.

"Aber das bezieht sich eigentlich nicht auf Südafrika. Damit ist wahrscheinlich jede berufstätige Frau konfrontiert, die Kinder hat", sagt die Architektin, die seit einem Jahr Mutter ist.


 

Südafrikanische Besonderheiten

Während ihres Aufenthalts in Südafrika hat Michèle Rüegg die Besonderheiten von Land und Leuten kennengelernt. Bei ihrer Arbeit sei ihr vor allem aufgefallen, dass man sehr oft direkt mit den Leuten reden muss: "Es gibt zahlreiche Meetings mit vielen Beteiligten, die intensiv diskutieren und debattieren. Das verläuft jedoch nicht immer sehr strukturiert", sagt sie. "Man muss immer wieder darauf achten, dass man sich nicht im Detail verliert."

Das liege sicher auch daran, dass Südafrika eine "Konsensgesellschaft" sei, wie Rüegg sagt: "Jeder wird nach seiner Meinung gefragt, und jeder darf mitreden beim Finden von Lösungen." Dies sei manchmal hinderlich gewesen, weil es den Planungsprozess extrem verlangsamt habe.

Als typische südafrikanische Eigenschaften nennt sie die Lebensfreude, Natürlichkeit und Bodenständigkeit der Menschen. Der Bezug zur Natur sei ihnen sehr wichtig.

Mühe hatte Rüegg hingegen damit, dass sie das Gefühl hatte, immer auf der Hut sein zu müssen: "Man geht wachsamer durch die Strassen, als man das in Deutschland oder der Schweiz machen würde", erklärt sie, denn Südafrika hat eine der höchsten Verbrechensraten weltweit.

"Ich konnte mich in der Stadt nicht so frei bewegen, weil es zu gewissen Uhrzeiten einfach nicht sicher war, zu Fuss durch die Strassen zu gehen."


 

Die Kraft des Fussballs

Seit sich die Architektin mit dem Bau von Fussballstadien beschäftigt, sei ihr vor allem eines aufgefallen in Südafrika: "Fussball wird von der schwarzen Bevölkerung sehr geliebt", erzählt sie. "Die weisse hatte am Anfang eigentlich keinen Bezug dazu, denn sie waren alle auf Rugby und Kricket fixiert."

Doch habe sich das geändert: "Je näher die Weltmeisterschaft heranrückt, desto grösser wird die Begeisterung, die in allen Gesellschaftsgruppen zu spüren ist", sagt Rüegg. "Das gefällt mir sehr gut am Fussball, er wirkt völkerverbindend."


 

Nächste WM bereits vor der Tür

Ende 2009 war die Arbeit für Michèle Rüegg mit der Schlüsselabgabe für die Stadien beendet. Doch während in Südafrika die letzten Vorbereitungen laufen für die WM, arbeitet Rüegg bereits wieder an neuen Stadien-Projekten für die nächste WM, die 2014 in Brasilien stattfinden wird.

Seit Anfang Jahr lebt sie mit ihrer Familie in Rio de Janeiro. Auch dort hat sie wieder die Leitung des neuen Standorts des gmp-Architekturbüros übernommen, das in vier Projekte involviert ist: einen Neubau, zwei Um- beziehungsweise Ausbauten sowie eine Beratungstätigkeit.

Ein Besuch in Südafrika sei aber noch geplant, so Rüegg: "Wir werden hoffentlich das erste Spiel im Stadion in Kapstadt sehen: Frankreich gegen Uruguay."


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