Die Macht des richtigen Friseurs - Über Bilder, Medien und Frauen

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Angela Merkel: Ihr Friseur ist mindestens so populär wie sie.
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Yvette Anhorn: Körperkult und Körperwahn werden immer stärker präsent.

 Frauen werden diskriminiert, sobald sie älter werden und die Menopause ruft. Männer und Frauen werden auf ihre Biologie reduziert, ihr Handeln mit Körperreaktionen erklärt, kurz - sie werden von bestimmten Wissenschaftlern zurück zu den Anfängen geführt, wieder zum Tier gemacht. Vernunft und Fühlen sind zweitrangig, wenn überhaupt, denn alles ist nur ein Ablauf von Hormonen und Austausch von Elektronen im Hirn.

Yvette Anhorn

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 20. Geburtstag der Einführung des Frauenstimmrechts in Appenzell Ausserrhoden kam auch Dr. Regula Stämpfli zu Besuch nach Hundwil. Mitgebracht hatte sie auch eine ihrer Publikationen - "Die Macht des richtigen Friseurs" - ein Werk, das fast zwei Jahre nach seinem Erscheinen an Aktualität nichts eingebüsst, sondern im Gegenteil noch gewonnen hat.

 

Yvette Anhorn

08:12:2009

 

Bevor es aber ans Inhaltliche dieses Buches geht, noch einige Details zur Autorin: Bezeichnenderweise (es geht ihr darum, dass Menschen nicht in Zahlen zu erfassen sind) findet sich im Internet keine Angabe zum Alter von Dr. Regula Stämpfli, dafür erfahren wir, dass sie drei Söhne im Alter von 9 bis 14 hat, in Bern aufgewachsen ist und in Brüssel lebt. Sie hat Geschichte, Staatsrecht und Politikwissenschaften in Bern, New York und Berlin studiert. Heute arbeitet sie in der Schweiz, Deutschland und Frankreich an diversen Bildungsinstituten als Dozentin für Politik, Geschichte und politische Philosophie (auch am Frauenseminar). Ausserdem schreibt sie Bücher, Essays und Kolumnen, tritt hin und wieder am Fernsehen und Radio auf, ist Mitglied des Ethikrats der öffentlichen Statistik der Schweiz, sie ist Mitglied des Fachbeirats beim Internationalen Forum für Gestaltung Ulm (zugehörig der Geschwister Scholl Stiftung) sowie Mitglied des Stiftungsrates des Gosteli-Archivs zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung. Soviel zu den Fakten.


Der Titel des Buches irritiert - Worum geht es hier denn? Die Erklärung der Autorin: "Die Tatsache, dass ein Starfriseur wie Udo Walz mittlerweile fast berühmter ist als seine Klientin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, brachte mich zum vorliegenden Buch. In sieben Kapiteln führe ich Sie durch 500 Jahre Philosophiegeschichte, durch aktuelle Wissenschaftstheorien und unterhaltsame Mediengeschichte".


Regula Stämpfli hat während vier Jahren an diesem Buch gearbeitet und es ist eine - sicher nicht abgeschlossene - Analyse geworden darüber, was Medien, Demokratie, Weltanschauung, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für uns Menschen als Menschen bedeutet. Als eigentlichen Schlüssel für das Zusammenbringen ihrer Gedanken nennt sie die Philosophin Hanna Arendt. Es würde zu weit führen, hier auch diese höchst interessante Frau zu porträtieren. Aber es ist wichtig zu wissen, dass ihr Gedankengut die Autorin stark prägt und dass dieses immer wieder in das Buch einfliesst. Ein wesentliches Zitat von Arendt lautet: "Nur ein Privatleben führen heisst in erster Linie, in einem Zustand leben, in dem man bestimmter, wesentlich menschlicher Dinge beraubt ist." Was sie genau damit meint, erklärt Regula Stämpfli eindrücklich und mit vielen Beispielen, die uns wohlbekannt sind, so unter anderem TV-Serien wie Dr. House, The Simpsons oder Desperate Housewifes. Es treten aber auch Figuren auf wie die "Berühmtheiten für Nichts" - Paris Hilton etwa oder Missen oder als Journalisten und Wissenschaftler getarnte Dummschwätzer.


Bei der Erfassung des Kernthemas kreist die Autorin um ihre "Muse" Hanna Arendt. Diese äussert sich über das tätige Leben in ihrem Werk "Vita activa" folgendermassen auf die Frage nach drei philosophisch wichtigen Momenten der Geschichte, welche den Fortgang der Menschheit massgeblich prägten: Die Entdeckung Amerikas, die Reformation und die Erfindung des Teleskops. Des Teleskops? Ja, denn dieses hat - auch wenn es fast unbemerkt vonstatten ging - die gesamte Weltanschauung, die Sicht auf die damals bekannte Welt nachhaltig erschüttert. Was bislang für alle Menschen mehr oder weniger bekannt war, was sie glaubten, über die Welt zu wissen, wurde mit dem Teleskop in Zweifel gezogen. Aus dem Sonnenuntergang wurde plötzlich eine Illusion durch die Erdrotation, Sonne Mond und Sterne waren eben nicht fix, sondern in ständiger Bewegung, die Erde bewegte sich auch und war - oh Wunder - keine Scheibe, sondern eine Kugel.


Auf einmal ist das ganze bisherige Weltbild in Frage gestellt. Was frühere Denker und Wissenschaftler anhand von Beobachtung und Erfahrung als Thesen für das Funktionieren der Welt zusammendachten, wurde nun Gegenstand von Berechnungen und daraus resultierenden logischen Zusammenhängen. So begann der Siegeszug der Zahlen, des Messbaren, Zählbaren. Damit einhergehend nahmen die Menschen aber auch ein zunehmendes Mass an Verunsicherung wahr. Wenn täglich neue Theorien die bisherigen Vorstellungen ablösen, woran sollten wir uns dann noch festhalten, woran glauben? Was war dann noch wahr? Wenn die gemeinsame Welt auf einmal in Einzelteile zerlegt werden konnte, wie sollte dann noch ein Gefühl der Gemeinsamkeit, der Öffentlichkeit, entstehen? Welche Grundwerte einten die Menschheit dann noch?


Und aus dieser Not der Sinnentleerung wendete sich fortan der Blick immer mehr weg vom Öffentlichen, das sowieso auf wackligen Füssen steht, hin zum Privaten, das uns als einzige Sicherheit erscheint. Auf einmal wurde der Einzelmensch zum Wichtigsten und damit auch sein Körper.


Bis heute ist Körperkult, Körperwahn immer präsenter geworden. Auch in der Öffentlichkeit - in der Politik und den Medien - dreht sich heute alles darum, wie jemand rüberkommt, wie jemand aussieht, welche Meinung jemand hat. Kaum einer fragt bei Wahlen noch, welche Kompetenzen jemand für ein Amt mitbringt. Es ist wichtiger, dass wir die Gesichter der zu Wählenden ansprechend finden, dann glauben wir ihnen nämlich auch mehr (das haben jüngst Wissenschaftler nachgewiesen). Es ist auch nicht wichtig, irgendeine Leistung zu erbringen, um in die Schlagzeilen zu kommen und sich darin auch zu halten - Menschen wie Paris Hilton beeinflussen Generationen, ohne wirklich irgendwas geleistet zu haben.


Eine Umschau in den Fernsehprogrammen wirft die Frage auf - was von dem Gesendeten hat wirklich eine Relevanz? Die Supernanny? Zwei bei Kallwass? Die Auswanderer? Haus im Glück? Je mehr Sendezeit zur Verfügung steht, umso mehr Dummschwätzerei und leeres Gerede und Peinlichkeiten. Die Sendezeit für wirklich wichtige Themen, die für die Zukunft der Menschen relevant wären, schmilzt zusehends. Damit wird es für uns Zuschauer auch zunehmend schwieriger, zu unterscheiden, was relevant ist und was nicht. Denn die Medien erschweren uns diese Unterscheidung, indem sie zum Beispiel in eine Nachrichtensendung wie 10 vor 10 immer mehr unterhaltende Elemente einfügen - Infotainment nennt sich das und hat mit seriöser Berichterstattung kaum mehr etwas zu tun. Auch die Politik folgt dieser Logik - wählbar ist, wer gut aussieht und sich gut und oft in Szene setzt - Darum tauchen Schweizer Jungpolitiker regelmässig in der Polit-Diskussionssendung Arena auf.


Und so ganz nebenbei werden wir bombardiert mit Jugendlichkeitswahn und Körperbesessenheit. Frauen werden diskriminiert, sobald sie älter werden und die Menopause ruft. Männer und Frauen werden auf ihre Biologie reduziert, ihr Handeln mit Körperreaktionen erklärt, kurz - sie werden von bestimmten Wissenschaftlern zurück zu den Anfängen geführt, wieder zum Tier gemacht. Vernunft und Fühlen sind zweitrangig, wenn überhaupt, denn alles ist nur ein Ablauf von Hormonen und Austausch von Elektronen im Hirn. Der Körper ist vermessen, auch wenn es nichts über meine Persönlichkeit aussagt wie gross ich bin, wie alt ich bin, wie meine Knochendichte ist, wie hoch die Zahl meiner Leukozyten ist etc. Und die Menschen glauben all diese verzerrten und teils sogar verlogenen Aussagen unbesehen, weil die Wissenschaftler schon wissen, wie sie zu diesen Resultaten kommen.


Während uns also die Erfindung des Teleskops einerseits eine Erweiterung unseres Blickfeldes in den Weltenraum gebracht hat, hat das Teleskop andererseits unser Gesichtsfeld stark eingeschränkt - statt Worten beherrschen nun Zahlen unsere Welt. Wer aber denken will, muss das in Worten tun. Und damit Bilder schaffen. Dies ist die Botschaft dieses Buches - dass wir uns wieder vermehrt in die Öffentlichkeit begeben, dass wir laut zusammen denken, dass wir kritisch hinterfragen und dass wir unbedingt das Öffentliche wieder vom Privaten trennen sollen, ja müssen. Das Denken der Wissenschaft zu überlassen, ist gefährlich. Die private Frisur von Angela Merkel darf nicht ihr öffentliches Wirken als Führerin einer Nation übertönen im Mediendschungel.


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